Verlangen
wenig frisches Blut, um den Appetit anzuregen, nicht wahr?« stichelte Annabella scherzhaft.
»Was für ein abscheuliches Bild.« Dennoch mußte Victoria wider Willen lachen. »Ich frage mich, ob Stonevale weiß, daß er wie ein Zuchthengst begutachtet wird.«
»Ich weiß es nicht, doch bisher bist du die einzige gewesen, die er begutachtet hat. Allen ist aufgefallen, daß du es warst, die er in den Spielsalon gelockt hat.«
»Ich nehme an, er ist auf der Suche nach einem Vermögen«, sagte Victoria.
»Wirklich, Vicky, du glaubst immer, daß die Männer hinter deinem Vermögen her sind. Du bist in dieser Angelegenheit verbohrt bis hin zur Idiotie. Wäre es nicht möglich, daß einige deiner Bewunderer ernsthaftes Interesse an dir und nicht an deinem Geld haben?«
»Bella, ich bin fast fünfundzwanzig. Wir wissen beide, daß die Männer in unseren Kreisen Frauen meines fortgeschrittenen Alters keine Anträge machen, es sei denn, sie würden durch praktische Erwägungen gelenkt. Und mein Vermögen ist ein äußerst praktischer Grund.«
»Du sprichst, als gehörtest du bereits zum alten Eisen, aber das stimmt einfach nicht.«
»Natürlich stimmt es. Und, um ehrlich zu sein, mir ist es lieber so«, erwiderte Victoria gelassen.
Annabella schüttelte den Kopf. »Aber weshalb?«
»Es macht alles so viel einfacher«, erklärte Victoria vage, während sie sich unbewußt in der Menge nach Stonevale umsah. Sie entdeckte ihn schließlich im Gespräch mit der Gastgeberin nahe der Tür, die auf die weiten Athertonschen Gärten hinausführte. Sie betrachtete die intime Art, mit der er sich über die engelsgleiche Lady Atherton beugte, die wie eine Vision in Rosa erschien.
»Falls du dich dann etwas besser fühlst, versichere ich dir, daß Bertie absolut nichts gesagt hat, was die Vermutung rechtfertigen würde, Stonevale sei ein Mitgiftjäger«, sagte Annabella. »Ganz im Gegenteil. Es geht das Gerücht um, der alte Graf sei ein Exzentriker gewesen, der seine Reichtümer gehortet habe bis zum Tage seines Todes. Nun gehört alles unserem neuen Grafen. Und du kennst Bertie. Es würde ihm nicht im Traum einfallen, eine Person zu bitten, uns heute abend zu begleiten, die er nicht vollkommen billigen würde.«
Victoria mußte einräumen, daß das zutraf. Lord Lyndwood, nur zwei Jahre älter als seine Schwester, nahm die Pflichten, die ihm aus dem kürzlich ererbten Titel erwuchsen, äußerst ernst. Er war sehr fürsorglich gegenüber seiner koketten, überschwenglichen Schwester, und Victoria gegenüber war er immer ein angenehmer Freund. Er würde keine der beiden Frauen einem Manne aussetzen, dessen Hintergrund oder Ruf zweifelhaft war. Vielleicht hatte Annabella recht, dachte Victoria. Vielleicht war sie, wenn es um arglistige Mitgiftjäger ging, ein wenig überängstlich.
Dann erinnerte sie sich an Stonevales Augen. Selbst wenn er kein Mitgiftjäger war, so war er doch gefährlicher als jeder andere Mann, dem sie jemals begegnet war, vielleicht mit Ausnahme ihres Stiefvaters.
Bei dem Gedanken sog Victoria scharf die Luft ein, um sie ärgerlich wieder auszustoßen. Nein, sagte sie mit plötzlicher Heftigkeit zu sich selbst, egal, wie gefährlich Stonevale sein mochte, sie würde ihn nicht auf eine Stufe mit dem brutalen Menschen stellen, der ihre Mutter geheiratet hatte. Tief in ihrem Innersten sagte ihr etwas, daß die beiden Männer nicht aus demselben Holz geschnitzt seien.
»Nun, meinen Glückwunsch, Victoria, meine Liebe. Ich sehe, Sie haben die Aufmerksamkeit unseres neuen Grafen geweckt. Stonevale ist ein interessantes Exemplar, nicht wahr?«
Aus ihren Gedanken gerissen durch die vertraute, kehlige Stimme, blickte Victoria zu ihrer Linken, wo sie Isabel Rycott neben sich stehen sah. Sie zwang sich zu einem Lächeln. Eigentlich war ihr die Frau ziemlich egal, doch fühlte sie jedesmal, wenn sie in ihrer Nähe war, einen Hauch von Neid und Unbehagen.
Isabel Rycott erinnerte Victoria immer an ein seltenes Juwel. Sie war Anfang dreißig und verströmte eine Aura üppiger, weiblicher Rätselhaftigkeit, die Männer anzog wie der Honig die Bienen. Das Gefühl des Exotischen wurde verstärkt durch Isabels katzenhafte Geschmeidigkeit, ihr glattes schwarzes Haar und ihre leicht schrägen Augen. Sie war im Saal eine der wenigen
Frauen neben Victoria, die der gängigen Mode trotzten, indem sie leuchtende Farben trugen statt der heute abend vorherrschenden dezenten Weiß- oder Pastelltöne. Ihr paillettenbesetztes, tief
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