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Verletzlich

Verletzlich

Titel: Verletzlich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ravensburger
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mit meiner kleinen Schwester in das hintere Zimmer gehen, die Vorhänge zuziehen, das Licht ausmachen und schauen. Schauen, ob es bei Manda ebenfalls geschah. Doch ich tat es nicht. Ich wollte es nicht sehen.
    Die nächste Veränderung erfolgte plötzlich. Ich erklärte meiner Mutter, dass ich die Krücken nicht mehr benutzen würde, egal, was der Arzt sagte. In der Wohnung konnte ich mich schon wieder gut ohne bewegen und ich hatte keine Lust mehr, die Dinger mit in die Schule zu schleifen. Sie wusste, dass es zwecklos war, mich zu zwingen und drehte den Spieß prompt um.
    »Okay, wenn dein Bein so gut geheilt ist, dann bring den Müll runter, morgen wird er abgeholt!«
    »Aber mein Bein«, jammerte ich.
    Mom lächelte nur: »Außerdem kannst du mit Manda zum Spielplatz gehen. Sie war den ganzen Nachmittag drinnen.«
    Murrend schnappte ich mir meine Schwester und wir machten uns auf den Weg zu den Müllcontainern. Den ganzen Weg hüpfte sie, und da sie meine Hand hielt, kugelte sie mir fast den Arm aus. Manda verbrachte achtzig Prozent des Tages entweder tanzend oder singend oder beides.
    Ich setzte sie auf die Schaukel und ging dann zu den Müllcontainern, um den Beutel mit den Küchenabfällen wegzuwerfen. Irgendein Idiot, oder wahrscheinlich ein ganzer Haufen Idioten, hatte allerdings die Tür in der Ummauerung, hinter der sich die Container befanden, mit einem riesigen gelben Kühlschrank zugestellt.
    Ich wusste, dass man die Container auch öffnen konnte, indem man auf die Mauer kletterte und den Deckel dann von oben anhob. Aber die Container in unserer Wohnanlage waren alt. So alt, dass die rostigen Deckel normalerweise wie zugeschweißt waren. Dennoch beschloss ich zu versuchen, sie einen Spaltbreit zu öffnen, um den Beutel hineinzuschieben. Nachdem ich auf die Mauer gestiegen war, suchte ich mit der linken Hand nach der saubersten Stelle am Deckelrand und zog … Der Deckel öffnete sich nicht nur einen Spaltbreit, sondern flog förmlich auf. Vollständig klappte er auf und schlug mit einem Riesenknall gegen die Ummauerung.
    »Heilige …«
    Eines der Kinder auf der Schaukel beendete den Gedanken für mich. Der ganze Spielplatz sah mich an. Misstrauisch blickte ich auf meine Hand. Hä?
    Ich nahm die Sonnenbrille ab und schloss sofort die Augen, weil das Licht so blendete. Dann wischte ich mir über die Stirn, setzte die Brille wieder auf und machte eine Faust. Irgendetwas … irgendetwas bewegte sich in mir.
    Anders konnte ich es nicht ausdrücken. Es war wie eine nie gekannte Energie – eine Energie, die sich plötzlich gelöst hatte und mir jetzt ungehindert in Arme und Beine strömte und wieder zurück. Ich hatte das Gefühl, ich bräuchte nur die Waden anzuspannen und abzuspringen und würde oben auf einem der Wohnblöcke landen.
    Ich blickte auf den Kühlschrank. Niemals . Aber warum nicht? Ich bückte mich, schob die Finger unter die Kante und richtete mich ruckartig wieder auf.
    Der gelbe Kühlschrank hob sich vollständig vom Pflaster ab. Geschockt stellte ich fest, dass der schwarze Boden des Geräts plötzlich auf meiner Augenhöhe war und noch höher sauste, als er meine Hand verließ. Ganz leicht war es gewesen. Einen Moment lang segelte der Kühlschrank noch durch die Luft, bevor die Schwerkraft wirkte und er krachend auf die Seite fiel.
    Der Lärm hallte von den Gebäuden wider. Kreischend und lachend kamen die Kinder vom Spielplatz her angerannt. Alle wollten mich berühren und nannten mich Superheld, Spiderman und Hulk. Manda war mitten unter ihnen.
    »Emma! Emma! Du bist Superman!«
    »Nein, hör auf, bin ich nicht!«, sagte ich. »Er war wirklich leicht. Ich habe nichts gemacht.«
    »Emma, du bist ein Star!«
    Sie flehten mich an, es noch einmal zu tun. Immer wieder schüttelte ich den Kopf. Glücklicherweise war niemand von ihnen älter als sechs oder sieben Jahre. Niemand würde ihnen glauben, wenn sie anderen davon erzählten, was ich getan hatte.
    Was geschah nur mit mir?
    Die Sache war mir unheimlich. Seit dem Unfall hatte ich mich verändert, daran bestand kein Zweifel. Fast war es, als … als würde ich zu etwas Neuem. Zu einem neuen Menschentypus.
    Nur welcher Typus das war, wusste ich nicht.
    Was sich nicht verändert hatte, war mein ungeduldiger Charakter. Warum hatte ich nicht bis nach Einbruch der Dunkelheit warten können, um es auszuprobieren? Doch die Kraft – diese Energie, die ich plötzlich spürte, hatte sich nicht unterdrücken lassen. In dem Moment, als sie

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