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Verletzlich

Verletzlich

Titel: Verletzlich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ravensburger
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mich durchströmte, war es mir vollkommen egal gewesen, wer zuschaute. Na und? , hätte ich gedacht, wenn jemand versucht hätte mich davon abzuhalten. Was? Glaubst du etwa, du kannst mich davon abhalten?
    Ich nahm Mandas Hand und zerrte sie schnell zu unserer Wohnung zurück, obwohl sie unterwegs die ganze Zeit jammerte. Auf dem letzten Treppenabsatz blieb ich stehen. »Du darfst Mom nichts davon erzählen«, schärfte ich ihr immer wieder ein. »Das ist strengstens verboten.«
    »Warum denn nicht? Sie muss doch wissen, dass du Superman bist.«
    »Ich bin nicht Superman, Manda. Wirklich nicht.«
    »Dann Supergirl.«
    »Nein.«
    »Superfrau.«
    »Nein, ich bin nichts. Das heißt, ich bin einfach stark, ungewöhnlich stark. Aber das muss ein Geheimnis bleiben, hast du das verstanden? Ein Geheimnis zwischen dir und mir. Wenn du jemandem davon erzählst, selbst wenn es nur Mom ist, wird sie sich Sorgen machen und mehr Leute werden davon erfahren. Und dann …« Ich war mir nicht sicher, womit ich sie überzeugen konnte. Dann fiel mir etwas ein. »Dann holen mich die bösen Männer, Manda. Und das willst du doch nicht, oder? Dich kriegen sie dann nämlich auch. Und Mom.«
    »Wie Peter Parker aus Spiderman.«
    »Ja, genau wie Peter Parker. Auf keinen Fall darf es jemand wissen, sonst …«
    »… sonst kommen die bösen Männer und tun uns weh.«
    »Genau. Also, wenn wir gleich bei Mom sind, sprechen wir über etwas anderes. Egal was.«
    »Okay.«
    In meinem Kopf schwirrten so viele Gedanken herum, dass er fast platzte. Am meisten beunruhigte mich, dass es sich vollkommen normal angefühlt hatte. Den Kühlschrank anzuheben, hatte sich nicht seltsam angefühlt, sondern ganz natürlich. Wie die natürlichste Sache der Welt.
    Der nächste Tag war ein Samstag und ich nervte meine Mutter so lange, bis sie mit mir in eine Ambulanz fuhr, um mir die Fäden ziehen zu lassen.
    »Aber es ist eine Woche zu früh!«, sagte meine Mutter auf dem Weg immer wieder.
    »Ich weiß, aber das Bein fühlt sich gut an«, erwiderte ich. Ich wollte ihr nicht sagen, was ich bereits ahnte.
    Ich blickte auf das Namensschild des Arztes: Olokowandi.
    »Und dürfte ich deinen Namen wissen, junge Dame?«, erkundigte er sich. »Mich kannst du Dr. Olo nennen«, fuhr er fort, während ich auf die mit Papier überzogene Liege kletterte. Er war ein verdammt gut aussehender Schwarzer mit dem umwerfendsten Lächeln, das ich je gesehen hatte.
    Wenige Augenblicke später lächelte er allerdings nicht mehr, sondern wirkte fast verstört.
    Dr. Olo hatte gerade den Verband von meinem Bein genommen und fuhr mir mit den Fingern über den Oberschenkel. An der Stelle, wo die üble Wunde gewesen war, sah man nur noch eine leichte knapp zehn Zentimeter lange Erhebung – das war alles. Ansonsten war die Haut wunderbar glatt.
    »Ich will ja nichts sagen«, begann Dr. Olo und klang ein wenig vorwurfsvoll. »Aber in deinem Bein sind keine Fäden mehr. Hast du sie dir selbst entfernt? Das ist aber sehr mutig. Oder haben dein Vater oder deine Mutter sie rausgezogen?«
    Mein Gesichtsausdruck musste dem Arzt verraten haben, dass das nicht der Fall war. Daraufhin wirkte er wieder freundlicher. »Leg den Finger dort drauf.« Dr. Olo führte meine Hand über die Erhebung, die er selbst gerade abgetastet hatte. Sie war weich, außer …
    »Merkst du, wie hart es sich hier anfühlt? Das ist Narbengewebe. Wenn hier niemand die Fäden gezogen haben will, dann sind sie wohl … in dem Gewebe verschollen.«
    Verwundert schüttelte er den Kopf. »Das Einzige, was man tun kann, Miss Emma, ist, ein Skalpell zu nehmen, um …« Er hielt das Ende seines Fingernagels an die Erhebung und zog ihn wie ein Messer daran entlang, »… nachzuschauen, was darunter ist.« Dr. Olo lachte schallend auf. »Das ist natürlich ein Witz. Nein, da kann man gar nichts tun. Du bist geheilt! Es ist ein Wunder! Ich wünsche dir noch einen schönen Tag.«
    Als meine Mutter mich wieder ins Wartezimmer kommen sah, fragte sie sofort: »Wie war’s?«
    »Easy«, antwortete ich, während wir die Arztpraxis verließen.
    Die nächste unfassbar seltsame Veränderung geschah noch am selben Tag. Seit Stunden regnete es, deshalb wusste ich, dass niemand auf dem Fußballplatz sein würde. Das war mir sehr willkommen, denn ich wollte mein Bein testen, ohne dass jemand zuschaute.
    Außerdem musste ich raus, mich körperlich betätigen. Seit der Fluch mein Leben bestimmte, war Laufen Therapie für mich. Laufen half

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