Verletzlich
nicht so genau.«
»Na ja, das ist ja nicht von langer Hand eingefädelt«, erwiderte Sagan.
»Natürlich wird Freeman früher oder später vermisst werden. Er muss eine Arbeit gehabt haben, Verwandte. Das ist also alles nur sehr temporär hier.«
»Okay … aber warum macht er sich die Mühe, das hier alles so großartig aufzubauen, wenn er es dann nicht einmal benutzt?«
Sagan rieb sich das Kinn. »Das bereitet mir auch Kopfzerbrechen. Ach ja. Weißt du, was es bedeuten kann?«
»Was denn?«
»Dass sie etwas gefunden haben, was noch näher dran ist.«
Nach dieser Erkenntnis bewegten wir uns schneller. Rollten die widerlichen Schlafsäcke zusammen und warfen sie in den Müll. Wenn wir Glück hatten, würde er heute abgeholt und sie würden auf der Deponie liegen, noch bevor Moreau und seine Killer zurückkämen. Wenn sie überhaupt zurückkämen.
»Glaubst du, dass sie den Dreck wirklich brauchen?«, fragte ich, als wir im Jeep davonrasten. »Ich meine, ob sie in Heimaterde schlafen müssen? Wie Dracula?«
Sagan schaltete einen Gang runter und wartete, bis der Motor leiser geworden war, bevor er antwortete. »Na ja, alles, was wir bislang über Vampire herausgefunden haben, hat irgendwie einen wissenschaftlichen Hintergrund. Die ganze Sache mit dem Nullpunktfeld und den elektromagnetischen Teilen der Sonne. Vielleicht geht es in diesem Fall nur um Geborgenheit oder so etwas. Wenn die perdus eher nomadisch leben, ist das vielleicht ihre Art, sich ein wenig zu Hause zu fühlen.«
Angewidert verzog ich das Gesicht. »Eins ist jedenfalls sicher. Jetzt wissen sie sehr bald, dass wir ihnen auf den Fersen sind. Ich weiß allerdings noch nicht, ob das gut oder schlecht ist.«
»Vielleicht ist es gut. Weil es sie nervös macht zu wissen, dass wir ihnen übel mitspielen können, wenn sie nicht vorsichtiger sind …«
Ich wandte mich von ihm ab und starrte auf das grüne Niemandsland zwischen den Fahrbahnen der Autobahn. Ich dachte an den Jogger und daran, dass andere unschuldige Menschen in Gefahr waren. Sechs Vampire.
»Es muss doch etwas geben, was wir tun können«, jammerte ich. »Je länger sich das hinzieht, desto mehr Leute werden …«
»Vielleicht gibt es etwas, Emma.«
28
Nachtsicht
Sagan legte einen Schlafsack – einen sauberen, den er von zu Hause mitgebracht hatte – neben die Stufen zu meinem Turm und ging dann wieder zum Jeep. Nach mehreren Gängen hatte er eine Campinglampe, eine Sporttasche voller Kleidung und andere Dinge in Taschen und Kisten ausgeladen.
»Nachtsichtkameras«, sagte er. »Keine Ahnung, warum ich nicht früher darauf gekommen bin.«
Ich war überrascht, wie klein sie waren. Fünf hatte er mitgebracht – eine für jede Seite des Turms und eine fünfte für die Spitze. Sie waren nicht viel größer als Digitalkameras. Jede einzelne von ihnen hatte ein ein Meter zwanzig langes »Zielobjekt«, das wir in den weichen Boden um den Turm herum steckten und damit die beste Kameraeinstellung bestimmten. Das letzte dieser Objekte befestigten wir an der kleinen Warnlampe für Flugzeuge oben auf dem Dach des Turms.
»Drahtlos«, schwärmte Sagan. »Mein Vater kennt einige Techniker, die sind unglaublich. Damit kann ich meine schlechtere Sehfähigkeit wettmachen. Und wir haben die ganze Umgebung im Blick. Jetzt muss ich nur vor meinem Laptop sitzen und darauf schauen, ob …«
»Ich habe noch einmal darüber nachgedacht«, begann ich. »Die Situation ist anders, seit wir wissen, dass sie mehrere sind. Das kann ich nicht von dir verlangen. Das ist … das ist einfach saugefährlich.«
»Aha, saugefährlich ist es? Du hast gesehen, worauf wir uns einstellen müssen, und brauchst die Hilfe dringender denn je. Rund um die Uhr. Und diese Aufgabe werde ich übernehmen. Sie sind einfach zu dicht dran, Emma.«
»Aber … Sagan …«
»Was hast du denn geglaubt? Dass du mich jederzeit anrufen kannst und ich komme angelaufen? Sie haben dich vielleicht längst zerstückelt, bis ich auch nur einen Fuß aufs Gaspedal gesetzt habe.«
»Willst du die Wahrheit wissen?«
»Sicher.«
»Du hast schon so viel getan und ich will nicht, dass du auch nur in der Nähe bist, wenn sie wirklich kommen.«
»Ach, machen wir jetzt auf Clint Eastwood? Die einsame Heldin, die eine ganze Bande von Halsabschneidern in die Flucht schlägt. Das mit den ›Halsabschneidern‹ sollte übrigens kein Wortspiel sein. Aber am Ende war Clint keineswegs allein, erinnerst du dich?« Er stellte die Kiste ab,
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