Verletzlich

Ansammlung von hohen Gebäuden direkt vor mir unterwegs.
    Außerdem taten sich in der dicht bewaldeten Landschaft überall Lichtungen auf, wo weitere Gebäude zu erkennen waren, die größtenteils lang und niedrig waren. Felder und Wiesen gab es auch wieder. Hier und da weideten Kühe. Was war das für eine Anlage? Vieh so nah an Bürohäusern zu sehen, war ungewöhnlich.
    Im Osten gab es nichts als dichte, hügelige Wälder. Südlich von mir glitzerte das Wasser des Tennessee River, den ich in der Nacht zuvor überquert hatte, im Morgenlicht. Neben dem Fluss erhob sich eine große, braune Konstruktionen, die anscheinend aus Eisen bestand. Um sie herum standen mehrere kleine quadratische Gebäude mit niedrigen Betonmauern.
    Eins nach dem anderen. Im Moment war ich vor allem hungrig. Ich lief den Hang hinunter und folgte dem Feldweg, der in einer großen Kurve am Waldrand entlang auf die hohen Gebäude zuführte.
    Zwischen mir und dem Bürokomplex befand sich nur noch eine große Weide. Wenn ich dort etwas zu essen finden wollte, würde ich dreist sein müssen. Der Parkplatz war voll – zurzeit schienen sich die meisten Leute innerhalb der Gebäude zu befinden. Hoffentlich schauten sie nicht aus dem Fenster.
    Ich kletterte über einen niedrigen Zaun. Der Komplex war doch weiter entfernt, als es zunächst den Anschein gehabt hatte. Bis ich dort wäre, würde es eine Weile dauern, es sei denn, ich würde so schnell rennen, wie es mir neuerdings möglich war. Doch es konnte nicht gut sein, wenn jemand sah, wie ein barfüßiges Mädchen im Schlafanzug und mit Sonnenbrille einen neuen Geschwindigkeitsrekord aufstellte.
    Vorsichtig umkreiste ich den Komplex aus sicherem Abstand. Als ich das Ende des Parkplatzes erreicht hatte, fühlte ich mich ein wenig besser. Zumindest war ich hier nicht mehr so exponiert. Ich joggte um die Gebäude herum und gelangte zu einem breiten halbkreisförmigen Vorplatz, in dessen Mitte sich ein mit Gras bewachsenes Oval befand. Darauf thronte ein Gebilde, das auf den ersten Blick wie eine coole abstrakte Skulptur aussah – dunkelgold und mehr oder weniger kegelförmig, unten breit und nach oben hin schmaler zulaufend. Als ich das Kunstwerk genauer betrachtete, stellte ich fest, dass es sich um eine gigantische Maschine handelte.
    Sie war mit gedrehten Metallröhren und dickem, farbigem Draht versehen. Irgendwie kam mir die Form bekannt vor. Dann fiel es mir wie Schuppen von den Augen. Ein Motor . Ein gigantischer, fast überirdisch wirkender Motor, aber ein Motor. Dahinter stand auf einem großen Schild:
    GEORGE C. MARSHALL RAUMFAHRTZENTRUM
NATIONALE LUFT- UND RAUMFAHRTZENTRALE
    Heilige Scheiße .
    Ich war auf einen NASA -Stützpunkt geraten.

7
    Festung
    Natürlich hatte ich von diesem Ort gehört. Ich war zwar noch nie auf dem Stützpunkt selbst gewesen, aber in der Mittelstufe hatten wir mit der Schule das weltberühmte Raketen- und Weltraumcenter direkt davor besucht: die NASA -Version eines kleinen Disneylands mit Raumfahrtsimulator, alten Teilen von Raumschiffen und mit Raketen, in die man hineinklettern konnte. Dort hatte ich den Motor schon einmal gesehen.
    Ich weiß noch, dass sie uns damals erzählt haben, dass die Raumfahrtzentrale selbst von einem riesigen Militärgebiet namens Redstone Arsenal umgeben war, um die Details des Raumfahrtprogramms vor anderen Ländern geheim zu halten. Einige der Autos, die ich durch das Tor fahren sah, gehörten von daher wahrscheinlich Soldaten.
    Aus ungefähr hundert Metern Entfernung beobachtete ich, wie die Leute vom Parkplatz aus die Treppen hinaufstiegen und eine Karte vor einen Barcodescanner hielten, um eingelassen zu werden. Dort würde ich niemals etwas zu essen finden, ohne entdeckt zu werden. Ich machte kehrt und joggte in den Wald zurück.
    Mit knurrendem Magen hockte ich mich neben einen Sassafras-Baum. Eigentlich müsste man die Blätter essen können . Ich schaute auf das Meer aus Autos zurück und dachte lächelnd an Manda, die mich verrückt machen würde, wenn sie wüsste, dass ich hier wäre. Sie würde unbedingt wissen wollen, ob man hier die Astronauten sehen könnte und wo hier die NASA den Mondstaub versteckt hielt.
    Versteckt .
    Plötzlich hatte ich eine Idee. Ich befand mich in vollkommener Abgeschiedenheit, umgeben von endlosen Wäldern, Feldern und hoffentlich ungefähr einer Million Panzern. Mein erster Versuch war zwar misslungen, aber so schwierig konnte es nicht sein, etwas zu essen, Wasser und einen Unterschlupf zu