Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Verletzlich

Verletzlich

Titel: Verletzlich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ravensburger
Vom Netzwerk:
ließ mein Vampirgehör mich bei allem, was sich bewegte, zusammenzucken. Alles war unheimlich. Noch nie hatte ich mich so weit von dem entfernt gefühlt, was mir vertraut war. Die Geräusche, die Lichter in der Ferne, der Geruch der Wildnis.
    Dann muss ich eingeschlafen sein.
    Wo war ich?
    Blinzelnd öffnete ich die müden Augen und fuhr ruckartig hoch. Über mir hing die ekelhafteste Spinne, die ich je gesehen hatte. Verzweifelt krallte ich mich am Rand der Röhre fest und zog mich hoch, um hinauszugelangen. Ich fiel auf den feuchten Untergrund und hätte fast wieder zu schreien begonnen.
    Sonnenschein.
    Ein unglaublich heller Sonnenball erhob sich am Horizont. So intensiv, dass meine Augen fast davon bluteten. Ich tastete in meiner Schlafanzugtasche nach meiner Sonnenbrille und setzte sie auf. Dann blieb ich lange Zeit einfach liegen und ließ mir von dem orangefarbenen Leuchten die Nacht abwaschen. Ich setzte mich auf. Niemand war zu sehen. Ich saß am Fuß eines Hügels auf einer kleinen Lichtung, die von Feldern und Wäldern umgeben war, so weit das Auge reichte. Mom …
    Wieder liefen mir Tränen über die Wangen. Sie sorgte sich sicher zu Tode. Ich schob die Hände in die Schlafanzugtaschen. Wie dumm . Mein Handy lag zu Hause auf dem Nachttisch, angeschlossen an das Ladegerät.
    Ich stand auf und kletterte den Hang hinauf, um mir einen Überblick über die Umgebung zu verschaffen. Im Norden sah ich einen langen Zaun. Dahinter verlief ein Highway, der an einer Stadt entlangführte. Die Skyline – beziehungsweise das Fehlen derselben – war mir vertraut. Das ist Huntsville , dachte ich. Und der Highway ist die I-565 . Damit war ich also knapp fünfzig Kilometer von zu Hause entfernt.
    Der Vampir konnte überall sein.
    Ich ließ mich auf einem vorstehenden Kalksteinplateau nieder und zwang mich ruhiger zu werden und nachzudenken. Noch immer spürte ich den unsichtbaren Finger in meinem Kopf, die unausweichliche Verbindung zwischen uns. Auch wenn es sich noch so abstrus anhörte, ich war mir sicher, dass Moreau durch meinen Anfall in mich eingedrungen war. Der reale, physische Vampir ist nie in meinem Zimmer gewesen. Ich hatte ein Bild von ihm gesehen. Eine Projektion. Als ich mich gegen die Schranktür geworfen hatte, war ich durch ihn hindurchgesprungen. Dennoch hatte er mit mir gesprochen und offenbar alles um sich herum sehen können. Waren alle Vampire dazu fähig?
    Was würde ihn davon abhalten, mir abermals einen Besuch abzustatten? Ohne Vorwarnung, wie es in der Natur von epileptischen Anfällen lag. Der Gedanke, was hätte geschehen können, wenn der Speiseplan richtig herum gelegen hätte, machte mir Angst. Wenn ich nicht fortgelaufen wäre …
    Manda …
    Dieses Mal hatte ich den richtigen Instinkt gehabt. Damit meiner kleinen Schwester nichts zustieß, musste ich von zu Hause fortbleiben, bis ich herausgefunden hatte, was Moreau vorhatte. Wie man ihm das Handwerk legen konnte.
    Ich blickte auf den Horizont. Sonne hatte doch angeblich heilende Wirkung. Zum ersten Mal in meinem Leben fühlte ich das Gegenteil. Noch nie hatte ich mich so elend und allein gefühlt. Dann fiel mir allerdings etwas ein.
    Ich habe eine Gabe, die du nicht hast , dachte ich.
    Wenn man den Legenden Glauben schenken konnte, hockte Moreau jetzt wie eine Ratte in einem Loch. Und dort würde er die nächsten dreizehn oder vierzehn Stunden auch nicht herauskommen. Die Zeit des Tageslichts gehörte mir.
    Als Erstes brauchte ich etwas zu trinken. Natürlich wusste ich, dass man sich Krankheiten einfangen konnte, wenn man Flusswasser trank. Winzige Erreger, die sich in Gewässern ausbreiteten, wenn ein Tier, zum Beispiel ein Hirsch, darin verendete. Das war mir egal. Ich fiel fast um vor Durst. Als ich am Fuß eines Hügels auf einen schnell fließenden Bach stieß, der kühl und klar über kleine Steinchen plätscherte, legte ich mich auf den Bauch und trank, bis ich meinen Magen glucksen hörte. Da ich mich schmutzig fühlte, spritzte ich mir anschließend Wasser in das dreckverschmierte Gesicht und wusch mir Arme und Beine.
    Danach ging es mir besser und ich machte mich abermals auf den Weg den Hang hinauf, um mich weiter umzuschauen.
    Im Westen sah ich drei lange Straßen. Eine davon war breit wie eine vierspurige Autobahn. Dort kroch der Verkehr nur langsam vorwärts. Die beiden anderen Straßen waren schmaler und liefen aufeinander zu, bis sie zu einer wurden. Viele der Autos waren offenbar in Richtung einer großen

Weitere Kostenlose Bücher