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Verletzlich

Verletzlich

Titel: Verletzlich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ravensburger
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überrascht war.
    »Gut.« Er klopfte rhythmisch auf meine Krankenakte.
    »Lernt man so etwas im Studium?«, fragte ich und versuchte nicht zu lächeln, weil sonst die aufgesprungenen Lippen schmerzten. »Grundlagen im Umgang mit Kranken?«
    »Was?«
    »Ach, nichts.«
    »Gut.« Wieder klopfte er. »Du hast schon wieder Farbe im Gesicht. Unglaublich.«
    »Ich erhole mich immer schnell. Wann kann ich nach Hause?«
    »Wahrscheinlich heute. Sofern sich keine Infektion entwickelt.« Er kitzelte meine Fußsohle.
    »He!«
    »Spürst du das?«
    »Was glauben Sie denn?«
    Meine Mutter betrat den Raum. »Wie gut, dass sich wenigstens eine von uns besser fühlt«, sagte sie und rieb sich den Nacken. »Deine Schwester macht mich wahnsinnig.«
    »Wann kann ich sie sehen?«, fragte ich.
    »Willst du einen Blick darauf werfen?«, unterbrach Dr. Williams und zeigte auf mein Bein, während eine Schwester den Verband wechselte.
    »Ich hab es mir gestern Abend schon angeschaut. Das wird eine schöne Narbe geben.«
    Die Stelle war hellviolett und uneben, die Haut um die Stiche herum zusammengezogen. Die Enden des Fadens, mit dem sie genäht worden war, fühlten sich wie Draht an. Irgendetwas hatte eine fürchterliche Wunde in meinen Oberschenkel gerissen.
    »Du bist über zwei Stunden operiert worden«, sagte meine Mutter.
    »Warum ist die Narbe so hässlich?«
    »Die offene Stelle war ziemlich groß«, erklärte Dr. Williams. »An einigen Stellen mussten wir die Haut dehnen, um den Riss zu schließen. Der nächste Schritt wäre plastische Chirurgie gewesen. Aber ich glaube, es wird ordentlich heilen. Dein Hausarzt wird dir in zwei Wochen die Fäden ziehen.«
    »Ach.« Ich konnte meine Enttäuschung nicht verbergen – für mich waren wenige Dinge so schrecklich, wie zum Arzt zu gehen. »Ich dachte, heutzutage lösen die Fäden sich von selbst auf. Kann ich sie mir nicht selbst ziehen?«
    Er grinste. »Denk daran, wir mussten, wie gesagt, die Oberschenkelarterie behandeln. War doch recht heikel, aber keine Sorge. Der Blutfluss war schnell wiederhergestellt. Du warst diese Woche meine beste Patientin, Emma. Wenn alle so wie du wären …«
    »Danke.« Ich hatte keine Lust mehr, darüber zu sprechen. Ich zupfte an dem Krankenhaushemd und sah meine Mutter an. »Und wo bekomme ich jetzt vernünftige Klamotten her?«
    Eine Woche dürfe ich nur mit Krücken gehen, sagte der Arzt. Meine Mutter warf sie in den Kofferraum, nachdem mir Schwestern vom Rollstuhl auf den Rücksitz geholfen hatten. Ich stellte mich ziemlich ungeschickt damit an. Ich hatte immer viel Sport gemacht, aber Krücken waren neu für mich.
    Was mir in der Schule bevorstand, konnte ich kaum erwarten. Schließlich wusste ich noch genau, was mit Molly Waltons Krücken geschehen war, als sie einen Bänderriss hatte: Abwechselnd haben die Jungen den Gummikopf abgenommen und ihn sich in die Hose gesteckt.
    Ich saß auf dem Rücksitz des Mietwagens, ohne angeschnallt zu sein, damit ich mein verletztes Bein seitlich ausstrecken konnte. Sie hatten mir so starke Schmerzmittel eingeflößt, dass mir schlecht davon wurde. Und das Bein tat trotzdem weh.
    Manda schlug unterdessen den Kopf gegen ihren Sitz und sang ein Lied, das sie sich aus aktuellem Anlass ausgedacht hatte.
    »Emma hat ein krankes Bein, krankes Bein, krankes Bein, altes krankes Bein.«
    »Hör auf zu zappeln«, sagte ich.
    Als wir aus dem Parkhaus herausfuhren, hatte der Regen aufgehört und die stechenden Strahlen der Sonne brannten in meinen Augen. Schützend hielt ich mir den Arm vors Gesicht. »Mein Gott, ist das hell!«
    »Hell?«, wunderte sich meine Mutter. »Es ist doch schon den ganzen Morgen bedeckt.«
    »Ich finde, die Sonne blendet fürchterlich.«
    »Das müssen die Antibiotika sein. Komisch, dass sie uns nichts davon gesagt haben.«
    »Hast du deine Sonnenbrille dabei?« Ohne die Antwort abzuwarten, wühlte ich in ihrer Tasche, fand ein Etui und setzte mir die Brille einfach auf. »Ah, so ist es besser.«
    »Das findest du hell?«
    »Jetzt fahr einfach. Ich habe genug von dieser Gegend.«
    »Aha, wieder ganz die Alte. Sind wir vielleicht ein wenig überempfindlich?« Meine Mutter drückte mir die Schulter.
    »He, guck lieber auf die Straße. Wir sind hier mitten in einer Stadt, wie dir hoffentlich bewusst ist.« Wenn wir in Städten wie Atlanta unterwegs waren, stand ich immer Todesängste aus, wenn meine Mutter am Steuer saß.
    Doch wir kamen ohne irgendwelche unangenehmen Zwischenfälle zu Hause an.

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