Verletzt
lasse. Nur das Licht der Stadt, die nie ganz schläft, dringt jetzt durch die Fensterfront herein und geleitet mich sicher zum Ausgang der Bibliothek.
Alle schlafen, alles ist ruhig, so friedlich. Die Nacht hat etwas Magisches, das ich nicht in Worte fassen kann. Ich fühle mich gepanzert, unverletzbar. Au Mist, gerade in diesem Moment ziept meine Verletzung und lässt meine Hand zu meinem Bauch fahren.
Zwingt mich auf dem Weg zu den Schlafgemächern stehen zu bleiben. Nicht, dass das etwas gebracht hätte. Das mit meiner Hand, die jetzt auf meinem Bauch liegt. Einfach ein natürlicher Schutzreflex.
„Hallo!“, sagt jemand. Hilfe! Mein Herz springt mir aus der Brust.
Kapitel 11
Jemand ist hier mit mir in den Gängen und hat mich gesehen, hat mich angesprochen.
„Tut mir leid, wenn ich Sie erschreckt habe. Ich wollte Sie nicht töten! Ich meine, dass Sie sich zu Tode fürchten.“ Habe ich mich aber, fast.
Wer ist er? Wie kommt er hier rein? Was will er? Was macht er hier, mitten in der Nacht?
Und warum ist das Licht nicht an?
„Geht es Ihnen wirklich gut?“
„Mir? Ja! Ist alles gut. Ich lebe noch.“ Ich höre ihn schmunzeln, sehen kann ich es nicht. Jemand sollte das Licht anmachen. Ich kann ihn im Dämmerlicht der Notbeleuchtung kaum erkennen. Er ist groß, sehr groß. Mindestens zwei Köpfe größer als ich. Und ich bin nicht klein.
„Was machen Sie hier?“, frage ich.
„Das Gleiche frage ich Sie.“ Seine Stimme ist klar, schneidend, gebieterisch.
„Wer sind Sie?“
„Und wer sind Sie?“
„So kommen wir nicht weiter“, sage ich nach einer Pause, in der keiner etwas sagte. Er nicht und ich auch nicht.
„Da fürchte ich, haben Sie recht.“
„Also gut, ich wollte gerade ins Bett.“ Er mustert mich, das weiß ich, obwohl sein Gesicht im Dunkeln verborgen liegt.
„Andere stehen um diese Zeit auf!“, sagt er.
„Ich benötige nicht besonders viel Schlaf!“
„Wie ist Ihr Name. Mädchen?“
„Freija“, sage ich und meine Stimme hört sich nicht so an wie die eines Mädchens.
„Freija?“ Er holt Luft. Ich kann das hören. „Sie sind ausgebildet im Nahkampf. Und...“, er macht eine Pause. „Mir wurde gesagt, ich soll mich vor Ihnen in Acht nehmen.“
„Vor mir? In Acht nehmen?“ Wer ist er? Ein Gesandter? Was sonst.
„Ja genau. In Acht nehmen. Nicht blenden lassen. Man hat mir gesagt, Sie sind gut, eine der Besten.“
„Ich bin nicht die Beste!“
„So, meinen Sie? Haben sie denn schon andere gesehen?“
„Nein, natürlich nicht. Das ist nicht möglich. Wir waren nie in einer anderen Sektion.“
„Ich schon!“ Okay, er ist ein Gesandter!
„Sind Sie ein Gesandter?“, frage ich. Ich kenne die Antwort, trotzdem frage ich ihn.
„Wenn das so wäre, dann würde ich das Emblem des Obersten tragen. Und wenn die Geschichten über Sie, Freija wahr sind, dann sind sie verdammt hübsch.“
Wieder entsteht eine Pause. Eine Schweigeminute. Gedenkminute? Ich komme mir seltsam vor, weil er mich zum Grinsen bringt.
„Ich schlage vor, wir machen das Licht an“, sage ich und höre ihn leise schnauben. Er flirtet mit mir im Dunkeln. Und ich gehe darauf ein. Bin ich verrückt?
„Nein, wir lassen es aus. Nicht, dass ich enttäuscht werde“, sagt er. Ich bin sicher, dass ein verschmitztes Lächeln über seine Mundwinkel zieht, auch wenn ich ihn immer noch nicht sehen kann.
„Sie haben recht. Nicht, dass ich doch noch vor Schreck hier im Gang zu Tode komme.“
Er lacht. Er lacht so laut, dass ich schon fast befürchte, uns könnte jemand hören. Uns könnte jemand beim Flirten ertappen. Aber die anderen schlafen auf der nächsten Etage. Unwahrscheinlich, dass es sein Lachen bis zu ihnen hinauf schafft. Aber was ist mit den anderen Gesandten? Sind die auch schon hier? So früh? Ich mache mir zu viele Gedanken um in sein ausgelassenes, sympathisches Lachen mit einzustimmen.
Außerdem tut meine Verletzung an meinem Bauch weh. Und das noch schlimmer als vorhin. Vielleicht habe ich mir heute Nacht doch zu viel zugemutet.
Asha hat mir verboten zu lachen, nicht dass die Wunde wieder aufreißt. Sie hat mir nicht verboten, die halbe Nacht durchzumachen. Das hätte sie wohl besser tun sollen. Ich fasse mir an den Bauch und spüre warme klebrige Feuchtigkeit. Ich blute.
„Sie machen mich neugierig“, sagt er. Das bin ich auch, sage es ihm aber nicht. „Die Prüfungen beginnen heute. Ich habe die Einteilung gesehen und finde es schade, dass Sie erst am letzten Tag dran
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