Verleumdet: Ein Henning-Juul-Roman (German Edition)
brennt wie Nadelstiche auf seiner Haut. In der folgenden Stille geben seine Beine fast unter ihm nach, und er braucht eine quälend lange Zeit, um sich wieder zu sammeln.
»Was zum Teufel willst du damit sagen?«, fragt er schließlich.
Sie klammert sich noch immer an die Stuhllehne, während ihr Blick sich in seinen bohrt, aber sie sagt nichts, sondern setzt sich wieder, zündet sich die nächste Zigarette an und schenkt Likör nach. Henning will mehr, will eine Erklärung, aber Christine Juul hat keine Worte mehr für ihn. Irgendwann zeigt sie zur Tür und fordert ihn auf zu gehen.
Henning tritt in den feuchten, kühlen Abend hinaus. Menschen und Fahrzeuge rasen an ihm vorbei. Es liegt doch nicht an mir, dass Mamas Leben ist, wie es ist, denkt er kopfschüttelnd. Ich war gerade erst sechzehn, als Papa starb.
Aber warum hat sie es dann gesagt?
87
Trine sinkt in der Stille zurück und lässt sich von den einschläfernden Bewegungen des Wagens einlullen. Die ruhige Fahrweise ihres Chauffeurs ist nach der Anspannung in Jessheim, der Konzentration, der Eskalation und der anschließenden Erleichterung mehr als wohltuend. Diesmal werden die Medien positiv über sie schreiben, auch wenn sie es nicht verdient hat. Schließlich hat sie nichts anderes gemacht, als zu kommen und zu reden.
Remi hat nicht aufgegeben, erst recht nicht ihretwegen. Um ein Haar wäre das Ganze schiefgegangen. Doch dieses Mal hatte sie das Glück auf ihrer Seite. Und es tat so gut, einfach loszulassen wie bei dem Interview für TV2 . Jetzt gibt es keinen Weg mehr zurück. Es ist vorbei. Alles ist vorbei.
Nun, nicht ganz.
Sie hat den Gedanken kaum zu Ende gedacht, als ihr Telefon klingelt. Trine wirft einen Blick auf das Display und sackt ein bisschen in sich zusammen.
Sie lässt es lange klingeln, bis sie schließlich kapituliert.
Es ist Katarina Hatlem.
»Ich habe gehört, was passiert ist. Wie gut, dass du …«
»Was willst du?«, unterbricht Trine sie barsch.
Katarina seufzt. »Ich würde das alles gern wiedergutmachen.«
»Dafür ist es zu spät, Katarina.«
»Ich verstehe dich ja. Aber auch wenn du nichts mehr mit mir zu tun haben willst, glaube ich, dass dich interessiert, was ich getan habe, seit du aus dem Büro aufgebrochen bist.«
Trine richtet sich auf.
Ohne weitere Aufforderung beginnt Katarina zu erzählen.
Trine rührt sich nicht. Aber die Ruhe in ihrem Innern ist wie weggeblasen.
Als Katarina ein paar Minuten später fertig ist, bedankt Trine sich.
»Gern geschehen.«
»Wie hast du das herausgefunden?«
Katarina antwortet nicht gleich.
»Ich habe einen Tipp bekommen.«
»Von wem?«
»Von … Von jemandem, der gerne anonym bleiben will.«
»Aha«, sagt Trine nachdenklich, und Katarina geht nicht weiter auf die Frage ein. »Dann ist da noch etwas«, sagt sie schließlich. »Ich bin bereit, dich in der Öffentlichkeit zu unterstützen, wenn er glauben sollte, du bluffst.«
»Das weiß ich wirklich zu schätzen, Katarina.«
»Viel Glück.«
»Danke.«
Sie beenden das Gespräch.
Als in der Höhe von Kløfta auf beiden Seiten der Autobahn die Tankstellen vorbeiziehen, beugt Trine sich vor und sagt zu ihrem Fahrer: »Ich fürchte, wir müssen noch zwei Zwischenstopps einlegen, bevor wir für heute Feierabend machen können. Ist das in Ordnung?«
»Ja, selbstverständlich.«
»Gut. Zuerst fahren wir kurz zum Ministerpräsidenten nach Hause.«
88
Es regnet noch immer, wenn auch nicht mehr so stark. Aber nicht einmal ein Wolkenbruch hätte Trine dazu bewegen können, Staatssekretär Harald Ulleviks Haus zu betreten. Er wohnt in einem Reihenhaus gegenüber der Tennisanlage von Eiksmarka. Trine bleibt vor der Tür stehen und blickt auf das Champagnerglas in seiner Hand. Seine geröteten Wangen zeigen an, dass es bei Weitem nicht das erste Glas des Abends ist.
Sie weiß, warum.
»Ich komme gerade vom Ministerpräsidenten«, sagt Trine und mustert ihren Freund und engsten Mitarbeiter der letzten Jahre. Er ist wie immer elegant gekleidet und lehnt mit Anzughose, weißem, frisch gebügeltem Hemd und gelockertem Schlips am Türrahmen. »Und ich sollte dir wohl gratulieren, jetzt da William dich gefragt hat, ob du bereit bist, meine Nachfolge anzutreten.«
Ullevik wirft ihr ein leicht unsicheres Lächeln zu. Trine weiß, warum. Er ist beunruhigt, nervös, weil er sie so noch nie gesehen hat. Im Regen stehend, mit einem Blick, der selbst einen Tiger in die Flucht schlagen würde. Und Trine muss sich wirklich
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