Verleumdung
man Bilder unbekannter Personen so manipulieren konnte, dass am Ende eine ziemlich überzeugende visuelle Prognose darüber herauskam, wie sie in vierzig Jahren aussahen. In erster Linie hatte sie jedoch bei der Entwicklung des führenden Programms zur kraniofazialen Rekonstruktion mitgewirkt, das von der Polizei und anderen Ermittlungsbehörden auf der ganzen Welt verwendet wurde. Natürlich mit Ausnahme von Dänemark, weshalb Linnea all ihre Kontakte angezapft hatte, um sich eine mehr oder weniger offizielle Raubkopie des Programms zu beschaffen.
»Sag einfach Bescheid, wenn es Probleme gibt«, meinte Eileen abschließend. »Und wie geht es dir so in Kopenhagen? Müsstest du dort nicht bald fertig sein?«
Linnea ignorierte die letzte Frage geflissentlich, bedankte sich stattdessen überschwänglich bei Eileen für die Hilfe und versprach ihr vage, sich in Form eines Rotweindates zu revanchieren, wenn sie sich – hoffentlich bald! – wiederträfen. Das löste ein weiteres perlendes Lachen aus, und Linnea loggte sich wieder bei Skype aus.
Sie blickte GW an, der gerade mit zwei Tassen Kaffee ins Büro kam. Dann setzte er sich auf einen Stuhl neben ihren Schreibtisch, anstatt wie sonst mit verschränkten Armen dazustehen. Das war schon mal ein gutes Zeichen. Er hatte sie skeptisch angestarrt, als sie Eileen angerufen hatte. Immerhin hatte er sich von Linnea zeigen lassen, was sie vorhatte. Eher widerwillig, denn er war wohl vor allem von der fachlichen Neugier getrieben, die vorübergehend den Drang besiegt hatte, andere zurechtzuweisen.
Doch jetzt schien seine Geduld bald am Ende zu sein, und Linnea nickte ihm zu.
»Erst eine Zigarette«, sagte sie. »Wir haben noch einen langen Abend vor uns.«
*
Konnte man seine eigene Schwäche anderen Menschen zum Vorwurf machen? Lex war wild entschlossen, die Geschichte von Firaz und seinen Geschäften nicht ohne weiteres aufzugeben, das hatte Jonas sofort gespürt. In der Kommode im Schlafzimmer hatte er das Geschenk von damals gefunden, als er voller Scham von seinem Auslandseinsatz zurückgekehrt war. Es hatte zwischen Strümpfen und Stofftaschentüchern verborgen gelegen und war noch immer in Zeitungspapier mit arabischen Schriftzeichen gewickelt. Seine ganze Niederlage, verpackt im irakischen Fernsehprogramm.
Als er wieder ins Wohnzimmer gekommen war, hatte Lex eine Flasche Rotwein geöffnet und Feuer im Kamin gemacht. Sie hatte sogar die Billie-Holiday-Platte aufgelegt, die er ihr vor zwei Jahren zum ersten Hochzeitstag geschenkt hatte. Ihr plötzlicher Stimmungswechsel verunsicherte Jonas, denn das war nur selten ein gutes Zeichen. Er ließ sich aufs Sofa fallen und nahm das Glas Amarone entgegen, das sie ihm reichte.
»Ich hoffe, du überlegst nicht, ob wir in die Sache einsteigen. Dieser Mann ist ein Verbrecher und noch dazu vollkommen unberechenbar.«
Sie sah ihn eindringlich an und legte ihm die Hand auf den Arm.
»Aber Jonas, du selbst bist doch auch nichts anderes als ein Verbrecher. Oder ist das etwa nicht der Stempel, den man dir aufgedrückt hat? Und wahrscheinlich auch das Einzige, was man dir zum Abschied mitgegeben hat, nachdem du dein Leben für dein Land aufs Spiel gesetzt hast.«
»Aber du kennst ihn nicht, Lex. Er ist ein Gangster, in alles Mögliche verwickelt, womit wir garantiert nichts zu tun haben wollen.«
Jonas nahm einen Schluck Wein und atmete tief durch, um die Ruhe zu bewahren. Als Lex weiterredete, wich sie seinem Blick aus.
»Meiner Meinung nach befinden wir uns derzeit nicht in einer so komfortablen Situation, dass uns groß eine Wahl bleibt. Ich sage nicht, dass wir es unbedingt machen müssen. Aber ich meine, es ist wichtig, dass wir allen Möglichkeiten, die sich uns bieten, offen gegenüberstehen.«
Sie schwieg für einen Moment und ließ den Blick in den Garten schweifen. Dann sah sie ihn endlich wieder an.
»Gerade jetzt, wo der ursprüngliche Plan nicht richtig gelingt.«
An jenem Tag hatten sie nicht weiter darüber gesprochen, und Jonas hatte dichtgemacht. Hatte sich in sich selbst zurückgezogen und seinen Blick abgewandt. Er wusste genau, dass sie es kaum aushielt, wenn er auf diese Weise mental abtauchte, aber er hatte keine Kontrolle darüber. Sein Körper spielte Vogel Strauß, und diesmal passte das auch seinem Geist ausgezeichnet. In dieser Nacht schliefen sie Rücken an Rücken. Anschließend erwähnte Lex das Angebot von Firaz so lange nicht, bis Jonas erleichtert aufgeatmet und seine Abwehrhaltung
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