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Verleumdung

Verleumdung

Titel: Verleumdung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karen Vad Bruun , Benni Boedker
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stärker als er. Manchmal blieb ihm noch immer der Atem weg, wenn er daran dachte, dass sie sich ausgerechnet ihn ausgesucht hatte. Und er würde es wohl nie richtig verstehen.
    Denn Lex war so offensichtlich von einem anderen Format als er, der er stark von seiner Kindheit in einer einfachen Dreizimmerwohnung auf dem Kronens Kvater geprägt worden war. Im Herzen von Albertslund, wie sein Vater auch noch immer stolz betonen musste. Seine Familie sah er nicht mehr besonders häufig. Die beiden älteren Geschwister hatten sich ebenfalls in Albertslund niedergelassen, wenngleich sie in der gesellschaftlichen Hierarchie ein wenig aufgestiegen waren: Seine Schwester wohnte mittlerweile in einem kleinen Reihenhaus, und sein Bruder und dessen Friseurgattin hatten es sogar zu einem Fertighaus am Rande des Viertels gebracht. Doch wenn Jonas sie besuchte, dachte er immer noch, dass man ihn als Kind vertauscht haben musste; ein Gefühl, das ihn schon seit der ersten Klasse verfolgte. Und genau dieses Gefühl hatte ihn auch dazu gedrängt, die Familie bei der ersten Gelegenheit zu verlassen. Seine Eltern waren gutmütig und liebenswürdig, hatten aber nie verstanden, was in ihm vorging. Zum Glück, denn es hätte seinem Vater sicher das Herz gebrochen, wenn er gewusst hätte, wie sehr Jonas seinen polternden Fahrlehrerjargon verachtete.
    Jonas war ein aufgeweckter Junge gewesen, viel schlauer als der Durchschnitt auf der Brøndagerschule. Doch er lernte schon früh, dass Intelligenz etwas war, das man besser nicht an die große Glocke hängte. Und als er bereits eine Woche nach Schulbeginn mit einer blutigen Nase und einem in Schulmilch getränkten Ranzen nach Hause kam, zeigte ihm die Reaktion seiner Mutter, dass er auf diesem Gebiet nicht mit dem Verständnis der Eltern rechnen konnte. Er hatte noch genau vor Augen, wie er in dem dunkelbraunen Wohnzimmer in einem Korbstuhl gesessen und schluchzend berichtet hatte, dass er doch nur geantwortet habe, als die Klassenlehrerin zuerst gefragt hatte, wie viele Länder mit A sie kannten, und dann mit B. Aber als sie bei C angekommen waren, hatte sie seinen ungeduldigen Zeigefinger ignoriert und stattdessen die anderen in der Klasse gefragt. Nach der Schule hatten einige der Jungs auf ihn gewartet und ihn in eine Rumpelkammer gezerrt. Seine Mutter, die jeden Morgen ab vier Uhr im Krankenhaus putzte und anschließend nach Hause hastete, um dort weiter zu putzen, hatte ihm über die Wange gestrichen, ihn verwundert angeschaut und ihm ein Stück Lebensweisheit anvertraut, das ihn über viele Jahre hinweg begleitet hatte: »Aber Jonas, Kind, was nützt es denn, sich vor den anderen so mit seinem Wissen aufzuspielen? Natürlich macht man sich damit unbeliebt.«
    Er hatte gespürt, wie die Tränen erneut in ihm aufstiegen, und plötzlich begriffen, dass er eins der wichtigsten Gesetze der Welt überschritten und sich damit nicht nur Probleme in der Schule eingehandelt, sondern sich auch noch als grundlegend anders als der Rest seiner Familie entpuppt hatte. Jonas hatte sich wieder aufgerichtet, die Nase hochgezogen und gesagt: »Bitte sag Papa nichts davon!«
    Das restliche Schuljahr hatte er alles darangesetzt, die Klassenkameraden dazu zu bringen, seine anfänglichen Ausrutscher zu vergessen. Und auch zu Hause hatte er sich bemüht, nicht aus dem Rahmen zu fallen. Mit der Zeit gelang es ihm, einen guten Mittelweg zu finden, wie man in der Schule leicht über die Runden kam, ohne sich zu sehr von den anderen abzuheben. Glücklicherweise war er immer gut in Sport gewesen und konnte in den Pausen und nach der Schule auf dem Fußballplatz punkten. Als sich später herausstellte, dass die Mädchen obendrein verrückt nach seinen blauen Augen waren, hätte er der König der Kommunalschule werden können. Stattdessen war er wegen seiner zurückhaltenden und freundlichen Art beliebt, und die Eltern waren mit ihrem Nesthäkchen zufrieden und ließen ihn in Ruhe.
    Sie ahnten nicht, dass er all seine Zeit darauf verwendete, von ihnen wegzukommen. Kaum war er alt genug, teilte er Zeitungen aus, später half er regelmäßig an der Tankstelle aus. Schon in der zehnten Klasse nutzte er seine gesamte Freizeit für Nebenjobs. Als Jonas dann aufs Gymnasium kam, hatte er genug Geld gespart, um problemlos allein über die Runden zu kommen, und zog in eins der Jugendzimmer gegenüber der Schule. Das war der erste Schritt in ein neues Leben. Seine Träume waren nie besonders konkret gewesen. Er hatte lediglich

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