Verlieb dich nie in einen Vargas
nicht traurig, Juju«, sagte Celi, die eindeutig traurig war. Sie schnäuzte sich immer wieder mit einer Serviette. »Uns bleibt trotzdem noch Zeit mit ihm. Es wird wahrscheinlich nicht gleich passieren – es könnte sein, dass wir über Wochen reden. Wahrscheinlicher sogar über Monate. Die Ärzte können nicht vorhersagen …«
»Warum habt ihr dann die Papiere schon unterzeichnet?«, fragte ich.
»Wir mussten vorbereitet sein«, sagte Mom. »Und jetzt, nach dem Brand … jetzt wissen wir, dass es eher früher als später passieren wird.«
»Es war ein Unfall«, sagte ich. »Es hätte jedem passieren können.«
»Aber das ist es nicht.« Mom schüttelte den Kopf. »Es ist deinem Vater passiert.«
»Es war meine Schuld. Ich hätte ihn nicht allein lassen dürfen und …«
»Er ist krank, mi amor «, sagte Mom. »Er kann nicht für immer mit dir zu Hause bleiben. Wir müssen neue Wege gehen.«
Neue Wege . Wenn ich diese Worte nie wieder hören würde, wäre das immer noch zu früh.
Mom hatte offenbar alle Vorkehrungen getroffen, und meine Schwestern hatten es gewusst, und niemand hatte es mir verraten, und bald würden sie Papi in ein neues Zuhause verfrachten, einen fremden Ort, ein Zimmer ohne scharfe Kanten und Herde und andere gefährliche Objekte.
Meine Schwestern blickten einander mit traurigen Augen und Sorgenfalten und gerunzelter Stirn an, und ich machte den Mund auf, um zu schreien, zu kämpfen, um Stellung zu beziehen, weil Mari es nicht tat. Aber ich blieb vollkommen stumm.
Unter all der Wut darüber, von der Entscheidung ausgeschlossen worden zu sein, hinter der Scham darüber, dass ich es nicht schaffen würde, mich um Papi zu kümmern, lauerte ein einsames Gefühl, das nun aus dem dunkelsten Winkel meines Herzens emporstieg. Es verschluckte meine Stimme, alle Luft, allen Kampfgeist, der mir geblieben war. Das Gefühl war schwärzer als alles, was ich je empfunden hatte, selbst am Tag des Feuers.
Erleichterung.
Ich schloss die Augen und presste meine Wange an das Platzdeckchen. Es roch nach Kaffee, und Pancake trottete in die Küche und legte seinen Kopf in meinen Schoß.
Mari legte ihren Kopf auf meine Schulter, ihre Finger fuhren durch meine Haare. Der Knoten in meinem Bauch löste sich und ich ließ mich von ihrer Berührung einlullen.
»Da ist noch etwas, Juju«, flüsterte sie, und ich wusste, was kommen würde. Es verbarg sich im federleichten Streicheln ihrer Hände, in der Sanftheit ihrer Stimme. Sie wollte es nicht aussprechen, aber ihr blieb keine Wahl, und ich kniff die Augen noch fester zu, konzentrierte mich auf Pancakes warmen Atem an meinen Beinen, sein Fell, das meine Knie kitzelte.
Sie würden das Motorrad verkaufen.
31
Valentina stand einer Statue gleich schweigend im Licht des frühen Morgens in unserem alten Schuppen.
Sonnenstrahlen fielen durch die Ritzen zwischen den Holzbrettern, und Staubpartikel tanzten vor meinen Augen, aber nicht ein Körnchen landete auf dem Motorrad. Im Haus flitzten und schwirrten meine Schwestern umher, machten Frühstück, teilten die Zeitung unter sich auf. Aber zu Ehren des Tages, der offiziell meinen Sommer einläutete, hatte ich die zu enge, abgeschnittene Jeans und das zerrissene Van-Halen-T-Shirt angezogen und mich allein in den Garten geschlichen.
Jetzt trank ich meinen Kaffee im staubigen Schuppen, teilte die Einsamkeit mit Valentina.
Ein beigefarbener Umschlag guckte zwischen dem Tacho und den Handgriffen hervor. Er war an mich adressiert.
Nach der Familiensitzung mit meinen Schwestern und Mom hatte ich den Rest des Abends in meinem Zimmer verbracht, wo ich meine langen Abschiede auf den letzten Seiten des Buchs der gebrochenen Herzen festhielt. Emilio. Papi. Valentina. Ich war darüber eingeschlafen, das Buch ein kaltes Gewicht in meinem Schoß, während meine Seele durch eine Schattenlandschaft wanderte. Es dämmerte bereits, als ich die Augen wieder aufschlug. Etwas hatte mich aus dem Schlaf gerissen, ein leises, vertrautes Geräusch, das mich dazu verleitete, die Augen zu öffnen, aber schon wieder verklungen war, als ich endlich vollkommen wach war, unwiederbringlich wie ein langsam verblassender Traum.
Nur dass es kein Traum gewesen war.
Es war Emilio gewesen, das Grummeln seines Motorrads. Er hatte sich in der Morgendämmerung in den Schuppen geschlichen und seinen endgültigen Abschied in einem Umschlag hinterlassen, auf den er meinen Namen gekritzelt und zweimal unterstrichen hatte.
Ich stellte meinen Kaffee auf
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