Verlieb dich nie in einen Vargas
akribischen Niederschriften der gebrochenen Hernandez-Herzen enthält, hier sein Ende finden wird, und ich werfe einen letzten Blick auf den Buchdeckel, fahre mit den Fingerspitzen den Schriftzug nach. Das Buch der gebrochenen Herzen .
Ich werfe es ins Feuer.
Es wirft Blasen, das Papier rollt sich auf und qualmt, und ich sehe zu, wie es verbrennt, verabschiede mich für immer von der Vergangenheit.
Irgendwann ist das kleine Feuer völlig heruntergebrannt und ich lösche die letzten Reste mit Wasser. Der Schwur, die Bilder, die Blumen, die Worte, die Geschichten der gebrochenen Herzen, die alten Gespenster … nichts als Asche und Rauch, und ich hole befriedigt Luft und stoße sie über den Canyon wieder aus.
Ich sehe zur Felskante hinüber, wo wir bei Sonnenaufgang unseren Kaffee getrunken haben, wo Emilio so geduldig auf mich wartet. Er lächelt, als er mich sieht. Stoppeln, Grübchen, Narbe. Mein Herz leuchtet von innen heraus auf.
Er legt den Kopf schief, lässt meinen Schlüsselanhänger, die silberne puerto-ricanische Flagge, herausfordernd klimpern, und ich antworte mit einer hochgezogenen Augenbraue, einem Grinsen.
Ja, ich bin so weit.
Er hat bereits alles zusammengepackt. Wir sind seit zwei Wochen unterwegs; er beherrscht den Zeltauf- und -abbau aus dem Effeff. Wir haben immer noch einen weiten Weg vor uns, und wenn wir schließlich zurück nach Hause kommen, wird Papi ein anderer sein, das weiß ich. Er ist an einem Punkt angelangt, an dem jeder Tag ihn ein wenig mehr kostet.
Ja, ich habe ihm versprochen, ich würde diese Reise machen, aber nicht, weil es tatsächlich sein letzter Wunsch war. Ich habe es getan, weil er recht hatte – mein Herz hat mir dazu geraten. Und selbst wenn es hier endete, wenn Emilio das Motorrad wenden und den Heimweg nach Colorado einschlagen würde, wäre ich dennoch überzeugt, die un glaublichste Erfahrung meines Lebens gemacht zu haben. Ich habe uraltes Gestein und Höhlenmalereien gesehen, bin ein Muli bis zum Grund des Canyons hinunter und wieder hinauf geritten, habe Kalifornische Kondore mit einer Spannweite von drei Metern auf Luftströmen über die Schlucht segeln sehen. Ich habe den Colorado River in einem Schlauchboot befahren und in einer Höhle mit Babyfledermäusen geschlafen und Sterne gezählt, bis mir die Zahlen ausgingen, den Großen Bären eingeschlossen, der uns auf unserer Reise behütet, uns auf jeder Straße folgt, in jeden Wald und jedes uralte Flussbett.
Und ich habe das alles Seite an Seite mit Emilio Vargas getan, dem Jungen, vor dem man mich mein ganzes Leben gewarnt hat.
Ich lächle, als ich an den ersten Tag im Duchess zurückdenke, daran, wie viel sich seitdem verändert hat, wie viel ich in dem Rauch zurücklasse, der sich langsam verflüchtigt, während ich auf das Motorrad zugehe.
Wortlos streckt Emilio die Hand aus, und ich ergreife sie, kein Zweifel dieses Mal. Ich schwinge mein Bein hoch und über den Sitz, setze den Helm auf und schlinge die Arme um seine Taille.
Er dreht den Schlüssel um.
Springt auf den Kickstarter.
Valentina erwacht röhrend zum Leben.
Wir schießen als funkelnder Blitz aus Saphirblau und Weiß und Chrom zurück auf die Straße, den Wind im Rücken, die Morgensonne warm auf dem Gesicht, und dann ist der Moment auch schon vorbei.
Ich habe keine Ahnung, was der nächste bringen wird.
Aber es ist ein neuer Tag. Ich trage eine supersüße brandneue Jeans. Und ich liebe den Wind in meinen Haaren.
Ich bin bereit für das Ungewisse.
Bereue nichts, princesa.
Foto: © Rachel Lynn Miller
SARAH OCKLER lebt mit ihrem Mann in New York, und weil sie immer noch an den Spätfolgen ihrer turbulenten Teenagerjahre leidet, hat sie sich aufs Verfassen von Jugendbüchern spezialisiert. Ihre Romane wurden in der Presse gefeiert und haben zahlreiche Auszeichnungen erhalten, u. a. ALA’s Best Fiction for Young Adults.
Sarah Ockler
Verlieb dich nie in einen Vargas
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