Verlieb dich nie in einen Vargas
fertig.« Emilio strich mir die Haare hinters Ohr. »Müssen nur noch den neuen Türrahmen anbringen. Danach habe ich noch nichts geplant. Hast du Lust, eine Runde zu drehen? Zur Eisdiele oder so?«
»Ich sollte besser auf meine Schwestern warten«, sagte ich. »Vielleicht in ein paar Tagen, wenn sich alles beruhigt hat?«
»Jude …« Emilio fegte eine Schicht Sägemehl von seiner Shorts. »Ich breche morgen auf.«
So sanft sie auch waren, die Worte polterten in meinen Magen wie Flusskiesel. Ich hatte gewusst, dass der Moment kommen würde, gewusst, dass er sich am Horizont abzeichnete. Er würde die Straße davonfahren und auf einen wilden, wunderschönen Ort stoßen, den die Zeit noch nicht berührt hatte, und er würde diesen Sommer hinter sich lassen, unsere Fahrt hinauf in die Berge, unsere Lippen, die sich unter dem Firmament aufeinandergepresst hatten. Er würde die ganze Strecke bis zum Meer fahren, so wie er es geplant hatte, und wenn er dann das Rauschen der Brandung vernahm, würde ich nur noch eine Erinnerung sein.
Es war ein weiterer unvermeidbarer Abschied, und ich hatte angenommen, ich sei darauf vorbereitet. Aber nun gab es da diese gigantische Leere in mir, ein schwarzes Loch, das ihn bereits vermisste und sich einen Weg zu meinem Herzen bahnte.
»Mein Angebot steht immer noch, princesa «, wisperte er. Er sah mir fest ins Gesicht, als versuche er, es sich einzuprägen, als kenne er meine Antwort bereits. »Ich habe gemeint, was ich gesagt habe. Ich möchte, dass du mit mir kommst.«
Ich hatte Emilio versprochen, über seine Einladung nachzudenken, sie ernsthaft in Erwägung zu ziehen. Und das hatte ich, nur dass es mir jetzt so vorkam, als hätte ich Wunschträumen nachgehangen. Damals hatte ich noch geglaubt, Papi würde seine letzte Fahrt vielleicht bekommen. Ich war noch davon ausgegangen, meine Schwestern würden ihren Besuch aufschieben und damit auch den genetischen Test, der uns verraten würde, wer von uns Papis Erbe in sich trug. Ich hatte angenommen, ich hätte ausreichend Zeit, dem Dämon davonzulaufen, ihm mitten in der Nacht zu entwischen, während er in die andere Richtung sah.
Doch jetzt kannte ich die Wahrheit. Keiner von uns hatte Zeit. Die Zeit hatte uns.
»Du hast dich diesen Sommer gut um Papi gekümmert«, sagte ich. »Und um mich. Das werde ich dir nie vergessen.« Der letzte Teil war ein Flüstern, ein Wispern. »Ich wäre so gern mit dir gekommen. Ich wollte all diese Orte sehen, sämtliche Reißzwecken auf deiner Karte.«
Emilios Augenbraue schoss nach oben. Er hatte den Dreh endlich raus und der Anblick traf mich mitten ins Herz. »Du warst in meinem Zimmer, was?«
Ich lächelte, trotz meiner Traurigkeit. »Schon möglich.«
»Ich wusste, dass du eine Stalkerin bist.«
»Nein«, sagte ich. »Nur … okay. Ein bisschen stalkerisch. Deine Mutter war dabei. Äh, einen Teil der Zeit.«
»Als würde es dadurch besser.« Emilio lachte, aber seine Grübchen wurden bald schwächer, und er nahm meine Hand und legte seine Finger um meine. »Du hast vor, Nein zu sagen, oder?«
»Ich kann nicht mit dir kommen.«
Sein Blick verdüsterte sich, die Grübchen verschwanden völlig. »Du fährst also nach Sand Dunes? Mit Zoe und so?«
Ein Erdhörnchen wetzte über unseren Köpfen einen Dachbalken entlang. Ich wandte mein Gesicht dem Geräusch zu. Es war schnell, ein kleiner beigefarbener Blitz, der sich hell von dem alten Holz abhob.
»Christina«, sagte ich. »Zoe hat mich nach dem Brand angerufen. Der Feuerwehrmann, Jeff? Er ist ihr Bruder. Er hat ihr erzählt, was passiert ist. Sie hat gesagt, ich solle unbedingt mit ihnen kommen, ich müsste mal auf andere Gedanken kommen.«
Zoe und ich hatten seit der Vorpremiere von Alice im Wunderland nicht mehr miteinander gesprochen, und sie machte sich Sorgen um mich, hatte sie gesagt. Sie fand es unerträglich, dass wir den ganzen Sommer getrennt verbracht hatten. Sie wollte, dass wir die verlorene Zeit während des Urlaubs nachholten und all die dummen Dinge hinter uns ließen, ehe wir aufs College gingen.
»Sand Dunes ist ein cooler Ort.« Emilio bemühte sich, die Verbitterung aus seiner Stimme zu verbannen, aber ich spürte sie dennoch, sie verlieh seinen Worten eine gewisse Schärfe. Er trat mit der Ferse seines Arbeitsstiefels gegen den Lehmboden. »Ich war mal dort. Es wird dir gefallen. Gibt schöne Fotos.«
Ich ließ meinen Blick über sein Gesicht wandern, den vollen Schwung seiner Lippen, die winzige Narbe an seinem
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