Verlieb dich nie in einen Vargas
Kinn. »Ich habe ihr abgesagt. Ich werde nicht mitfahren. Es hat sich nicht richtig angefühlt, nicht nach allem, was diesen Sommer passiert ist.«
Seine Augen weiteten sich und er packte meine Hand. »Dann komm mit mir. Wir könnten …«
»Meine Schwestern kommen heute Abend. Ich muss mich dem ganzen Familienkram stellen. Herausfinden, was sie wegen Papi entschieden haben.«
»Ich muss nicht diese Woche los«, sagte Emilio. »Wir könnten deine Schwestern erst mal ankommen lassen, abwarten, wie die Dinge sich im Laufe des Monats entwickeln, ja?«
Sein Lächeln war voller Hoffnung, aber auch fragil und flüchtig, nicht stark genug, um all die Felsbrocken zu überwinden, die unseren Weg blockierten. Abwarten bedeutete, noch mehr Diskussionen und Streitereien und schmerzhafte Entscheidungen über Papis Pflege, über das Schicksal der vier Hernandez-Schwestern, über Mom. Abwarten bedeutete, sich der Realität namens College zu stellen, mein Leben in Kartons zu packen, weiterzuziehen, erwachsen zu werden, ein neues Kapitel aufzuschlagen.
So oder so stand Emilio und mir ein Abschied bevor.
Ich verschränkte meine Finger mit seinen. »Du kannst nicht ewig auf mich warten. Du musst los. Für Danny, wie du es versprochen hast.«
Emilio betrachtete mich mit brennendem Blick, seine Augen waren tiefe Brunnen, voller Feuer, voller Möglichkeiten. Ich wartete darauf, dass er mich erneut bitten würde, dass er darauf beharrte, ich solle mit ihm kommen, dass er mir versicherte, bis ich ihm begegnet sei, habe ihm nichts je etwas bedeutet. Ich wartete darauf, dass er mich bei den Schultern packte und gegen die Wand stieß, dass er meinen Mund mit seinem verschloss und jeden Protest und Zweifel im Keim erstickte.
Ich wollte, dass er mich küsste und mich von Neuem überzeugte, dass er mir sagte, er wünsche sich nichts sehnlicher, als mich auf seinem Motorrad von hier wegzubringen, als uns den ganzen Weg bis ans Meer zu bringen.
Vielleicht hätte ich Ja gesagt, wenn er mich noch ein Mal gefragt hätte.
Vielleicht hätte ich alles stehen und liegen gelassen, wäre auf den Rücksitz seines Motorrads gehüpft und hätte niemals zurückgeblickt.
Aber er fragte nicht noch mal, und als ich die Arme um ihn schlang, presste er seine Lippen an meine Stirn, und wir verharrten eine Ewigkeit so. Als er sich schließlich von mir löste, sah ich ihm in die Augen und lächelte.
Er drückte meine Hand, hauchte meinen Namen.
Mein Herz flatterte.
Mein Herz schmerzt.
Begierig, es zu fühlen.
Begierig, es zu leugnen.
Das Leben.
Den Tod.
Möglichkeiten.
Enden.
30
Die heilige Dreifaltigkeit war eingetroffen. Ein Segen und Fluch zugleich, wie es bei meinen Schwestern schon immer der Fall gewesen war.
Ich hatte mich im Schuppen versteckt, wo ich abgewartet hatte, bis sie das Gepäck ausgeladen und den Smalltalk hinter sich gebracht hatten. Mein Herz war immer noch wund vom Nachmittag, davon, Emilio dabei zuzusehen, wie er ein letztes Mal die Küchentür testete, sein Werkzeug zusammenpackte, sein Motorrad anwarf. Ich hatte mir den Geruch seiner Lederjacke, das Gefühl seiner Lippen auf meiner Haut, die Art, wie das tiefe Grollen des Motorrads meinen Brustkorb vibrieren ließ, eingeprägt. Ich hatte das alles archiviert, es noch hundertmal abgespielt, um auf Nummer sicher zu gehen, weil er am nächsten Tag fort sein würde, unterwegs in ein neues Leben.
Ich hatte ihm keinen Grund gegeben zu warten. Ich musste ihn gehen lassen.
Als ich nun dem Pfad zum Haus folgte, wurde jeder Schritt von einem pochenden, dumpfen Schmerz beglei-tet.
Lourdes, Celi und Mari saßen mit meinen Eltern im Esszimmer. Ihr Geplauder schwirrte zum Fenster hinaus wie lauter kleine Vögelchen. Sie spielten das »Alles wird gut«-Spiel. In dieser Runde reichten sie Moms empanadas herum, die frisch aus dem neuen Ofen kamen, und den Wein, den Lourdes von ihrem Weingut in Mendoza mitgebracht hatte.
Ich lehnte mich gegen die Hauswand und lauschte, ließ ihr Lachen in mein Herz strömen. So wollte ich uns in Erinnerung behalten. Glücklich. Sorgenfrei. Zusammen. Ungebrochen. Ich ließ mich randvoll damit laufen, meine Erinnerungen davon durchdringen. Falls ich Glück hatte, würde der Dämon mir diese hier lassen, wenn er zuschlug.
Ich huschte ins Haus. Schlich auf Zehenspitzen durch die Küche, in deren Luft noch immer der Geruch nach Rauch und Sägemehl hing, nach Dingen, die zerstört und wiederhergestellt worden waren. Ich stand eine Weile in der Tür zum
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