Verlieb dich nie in einen Vargas
Flamme erwachte Funken sprühend zum Leben, als sie den verstaubten Docht entzündete. Ich hatte das Messer anfangs gar nicht bemerkt, aber jetzt hielt sie es über die Flamme. »Gib mir deine Hand.«
Ich setzte mich auf beide Hände. »Ich lasse mich nicht noch mal verstümmeln.«
»Niemand hat dich verstümmelt. Es war ein Blutsbund. Und offensichtlich hat er das erste Mal nicht funktioniert. Hand.«
»Ich hätte dieses Ding niemals unterschreiben dürfen. Es ist ein Relikt, Mari. Das nichts mit mir oder Emilio zu tun hat. Er ist nicht wie Johnny.« Es erzeugte ein Gefühl der Ohnmacht in mir, dass ich in ihrer Gegenwart weinte; so als wäre ich wieder fünf Jahre alt.
Das Feuer in Maris Augen wurde endlich schwächer, bis es nur mehr vor sich hin schwelte. »Was glaubst du, wird passieren, wenn es Papi so richtig schlecht geht? Und damit meine ich nicht die eine oder andere Stimmungsschwankung. Ich rede davon, wenn er nicht mehr allein auf die Toilette gehen kann. Wenn er sich nicht mehr an deinen Namen erinnern wird. Wenn er ausrastet, weil er denkt, wir wären Fremde, die versuchen, ihm wehzutun.«
Ich rieb mit den Händen über meine Shorts, die Finger starr. Trauer stieg in mir empor wie blubbernder Teer. Er überzog meine Gedanken, meine Worte, mein Herz, und sie alle wurden schwer und schwarz. »Ich weiß es nicht.«
»Glaubst du wirklich, Emilio wird bleiben und sich das antun? Und was ist danach? Wenn Papi nicht mehr da ist und …«
»Sag das nicht.«
»Juju …« Maris Stimme brach. »Das hier ist größer als der Schwur, okay? Und es geht nicht nur um Papi und die nächsten paar Monate oder Jahre. Da gibt es Dinge, mit denen wir uns bis jetzt noch nicht mal ansatzweise befasst haben.«
In ihrer Miene spiegelte sich die typische Dickköpfigkeit, die Ich-weiß-alles-besser-Überzeugung, die schon zu Kindertagen Einzug in ihren Blick gehalten hatte. Aber verborgen in den Schatten lauerte auch etwas Neues. Etwas Mächtiges und Gefährliches, in dessen Fahrwasser ein Mädchen zurückblieb, das sogar noch jünger war als ich.
Angst.
»Was für Dinge?«, fragte ich.
Mari erwiderte meinen Blick einen Wimpernschlag lang, dann war der Moment vorüber und die Angst, die ich wahrgenommen hatte, nicht mehr als ein geisterhafter Spuk in ihren feucht schimmernden Augen. »Ich sage nur, dass wir nicht wissen, was die Zukunft bringt, und sich mit einem Vargas einzulassen, wird später alles nur viel schwerer machen.« Sie kratzte einen angetrockneten Klecks Haferbrei von einem Platzdeckchen, als wäre das alles nicht weiter wichtig, aber ihre Stimme verriet sie, denn sie war brüchig und unsicher. Die Jungfrauenkerze erlosch mit einem Zischen, der Rauch stieg wie eine sich windende Schlange zwischen uns empor, und mit einem Mal erfüllte die Angst, die ich in ihren Augen gesehen hatte, mein Herz.
Was für Dinge? Sie hatte mir darauf keine Antwort gegeben, und mir gelang es nicht, die Worte hervorzuwürgen, derer es bedurft hätte, um sie erneut danach zu fragen.
Mari nahm rasch das Messer vom Tisch und legte es in die Schublade zurück. Sie füllte ein Glas mit kaltem Wasser, und kaum dass sie es hinuntergestürzt hatte, war alles Schlimme wie weggewischt, und sie wandte sich mit einem breiten Lächeln zu mir um.
»Der Typ hat mir wegen des Motorrads gemailt. Seine Frau hat kein Problem damit. Er überlegt sich ein Angebot. Papi weiß im Grunde nicht, was es wert ist, aber ich habe mich umgehört. Ich glaube, wir können einen schönen Batzen Geld damit verdienen.«
Sie stand mit herausgestellter Hüfte und ihrem verrauchten Eau de Mari da und plapperte ohne Punkt und Kom-ma über technische Details und Sammlereditionen und motoscout24-Preise, bis die blubbernde schwarze Teermasse in mir schließlich überkochte.
»Einen schönen Batzen Geld? Meinst du das ernst?«, schrie ich. »Ich war den ganzen Sommer hier, das ganze Jahr über, und du schneist für ein paar Wochen herein und weißt plötzlich alles besser? Hast du Papi überhaupt gefragt, ob er Valentina verkaufen möchte?«
Ihre Augen wurden groß, aber ich war nicht zu bremsen. »Entweder es wird auf deine Art gemacht oder gar nicht. Das geht schon mein ganzes Leben so. Du bist …«
»Ich fass es einfach nicht.« Sie knallte ihr Glas auf die Küchenanrichte. »Du führst dich auf, als hättest du den großen Durchblick, dabei bist du ein verwöhntes kleines …«
»Wenigstens bin ich keine …«
»Mariposa y Jude Hernandez!« Papis Stimme
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