Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Verlieb dich nie in einen Vargas

Verlieb dich nie in einen Vargas

Titel: Verlieb dich nie in einen Vargas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Ockler
Vom Netzwerk:
spazieren gewesen. Ihr Gesicht war erhitzt von der Sonne.
    »Emilio hat das Motorrad zum Laufen gebracht«, verkündete Papi.
    »Beinah«, sagte Emilio.
    »Das ist toll!«, sagte Mari. »Ich habe heute jemanden beim Wandern kennengelernt. Einen Motorradfahrer.«
    »Wann ist die Hochzeit?«
    »Sehr witzig.« Mari wandte sich Papi zu. »Ich habe ihm von dem Motorrad erzählt. Er würde es sich gerne mal ansehen, vielleicht ein Angebot machen.«
    »Wer sagt, dass es zum Verkauf steht?«, fragte ich. »Es läuft ja noch nicht mal.«
    »Ich weiß, aber … Habt ihr mal darüber nachgedacht, Leute?« Maris Blick schoss von mir zu Emilio und wieder zurück. »Es kann ja nicht schaden, wenn er sich die Maschine ansieht, oder? Er hat gesagt, er würde in Betracht ziehen, sie in ihrem jetzigen Zustand zu nehmen. Du wirst vielleicht eher auf Tour gehen können als gedacht, Vargas. Wie wäre das?«
    Sie schnappte sich Pancake und kehrte zum Haus zurück, ehe ich die Worte fand, um es ihr auszureden, ehe ich mir ein paar nachvollziehbare, finanziell sinnvolle Gründe dafür einfallen lassen konnte, warum wir ein Oldtimermotorrad behalten sollten, das Papi niemals wieder würde fahren dürfen. Ich wusste nicht, wie ich es ihr begreiflich machen sollte, ich fühlte es mehr, als ich es wusste, tief in meinen Knochen und in meinem Herzen, wo medizinische Forschungsergebnisse und Arztmeinungen nichts zählten: Dieses Motorrad loszuwerden bedeutete, sich dem Dämon geschlagen zu geben. Das Ende von Papis letzter Chance. Das Ende von allem.
    Ich ließ mich gegen die Werkbank sacken, von dem Wunsch beseelt, mich auflösen zu können und mit dem Staub davonzuwehen. Und von der anderen Schuppenseite aus sahen Papi und Emilio mich beide mit demselben waidwunden Gesichtsausdruck an.
    »Sag was.« Ich war mit Emilio allein, nachdem Mari Papi ins Haus gerufen hatte, damit er ein Nickerchen machte. Oder etwas aß. Oder etwas trank oder eine Tablette nahm oder ein Kreutzworträtsel löste. Ich wusste es nicht mehr. Und jetzt stand ich wie belämmert vor Emilio, das Motorrad zwischen uns der unleugbare Beweis für ein abscheuliches Verbrechen.
    »Du bist so anders, wenn sie dabei ist.« Er sah mich nicht an, sondern sammelte nur seine Werkzeuge vom Boden auf und legte sie zurück in den Werkzeugkasten. »Bei mir nimmst du kein Blatt vor den Mund. Du hast dir von den Jungs in der Werkstatt nichts bieten lassen, als sie auf Spanisch über dich hergezogen haben, und hast es ihnen mit gleicher Münze heimgezahlt. Du machst Rosette wahnsinnig vor Eifersucht. Du verweist mich alle fünf Minuten in meine Schranken. Aber Mari? Bei ihr sagst du nie etwas.«
    Ich verpasste dem Lehmboden einen Tritt. »Sie ist meine Schwester.«
    »Und deswegen darf sie die Entscheidungen treffen? Dir vorschreiben, was du zu tun hast?« Er fuhr sich mit der Hand über sein Kopftuch und schüttelte den Kopf. »Mit wem du zusammen sein darfst?«
    Seine Fragen bohrten sich wie Dolchstöße in meine Brust. Ich wollte mich verteidigen, wollte Mari verteidigen, entgegnen, dass sie immer auf mich aufgepasst hatte. Dass sie mir meine erste Zigarette gegeben hatte, als ich in der Sechsten war, weil sie wusste, dass mir davon schlecht werden würde und ich niemals wieder eine anrühren würde. Dass sie Celi getröstet hatte, nachdem Johnny ihr das Herz gebrochen hatte. Dass sie all diese Bücher über Papis Krankheit gelesen hatte, um herauszufinden, wie sie ihm am besten helfen konnte. Dass sie ihr Versprechen gehalten hatte, meinen Schwestern nichts von Emilio zu erzählen.
    Warum sieht er das bloß nicht?
    Doch als ich den Mund öffnete, wollten mir die Worte nicht über die Lippen kommen. Ich sah als Schnappschuss vor mir, wie die Dinge zwischen meinen Schwestern und mir stets gewesen waren, genau wie fünf Jahre zuvor an dem Abend in Celis Zimmer. Lourdes, die Älteste, mit ihrer Vernunft, die für alle anderen die Scherben aufsammelte. Celi, verletzbar und romantisch, mit dem großen, offenen Herzen. Mari, die Jüngste der drei, impulsiv und voller Feuer.
    Aber genau ab dem Punkt lief alles komplett schief, denn Lourdes hätte hier sein sollen, um mit Papi zu helfen – sie hätte genau gewusst, was zu tun war. Und technisch gesehen war ich die Jüngste, nicht Mari, und ich hatte den Großteil meines Lebens damit verbracht, wie das Kind meiner drei älteren Schwestern zu leben, Sachen getragen, die sie mir gegeben hatten, ihre Bücher gelesen, auf ihre Ratschläge

Weitere Kostenlose Bücher