Verlieb dich nie in einen Vargas
glaube, Papi wäre so was von begeistert.
Mom verzog keine Miene. Vielleicht hatte sie mir längst davon erzählen wollen. Vielleicht dachte sie, sie hätte es getan. Mari war offenbar eingeweiht – sie stellte keine Fragen.
»Das ist eine Möglichkeit, die für die Wahl steht, ja«, sagte Mom.
»Zur Wahl«, sagte ich.
» Sí . Aber es gibt noch andere Dinge zu bedenken. Dinge, die deine Schwestern und dich … noch mehr Entscheidungen.« Mom schüttelte den Kopf und murmelte leise etwas vor sich hin. Ich verstand sie kaum, so stark war ihr Akzent. »Die Ärzte … bitte erklär du, Mariposa.«
»Ich weiß nicht, wie viel du über die Krankheit weißt«, sagte Mari, »aber früh einsetzender Alzheimer ist nicht genau dasselbe wie normaler Alzheimer. Häufig gibt es eine genetische Komponente.«
»Was meinst du damit?«, fragte ich.
»Sie können die Patienten testen, um herauszufinden, ob sie diese Genmutation haben.« Sie ballte die Hand zur Faust, öffnete sie dann wieder und strich mit den Fingern über mein Knie. »Papi hat sie.«
»Sie können die Gene also … reparieren? Sie irgendwie verändern? Durch Bestrahlung oder so?« Die Frage schmeckte dumm auf meiner Zunge, aber falls auch nur der Hauch einer Chance bestand …
»Nein. Es hilft ihnen nur, die mutmaßliche Ursache zu finden«, sagte Mari. »Die Ärzte meinen, aufgrund der Genmutation habe Papi wahrscheinlich familiär bedingt früh einsetzenden Alzheimer. Ererbt.«
Mein Verstand kämpfte darum, das Puzzle zusammenzusetzen. »Papis Eltern hatten es also auch?«
»Höchstwahrscheinlich«, erwiderte Mari. »Zumindest einer von ihnen.«
Wir wussten nicht viel über die Eltern meines Vaters. Papis Mutter hatte die Familie verlassen, als er noch im Kindergarten gewesen war, und sein Vater war mit Mitte vierzig an Lungenkrebs gestorben. Papi war damals bereits aus dem Haus, und als sie versuchten, seine Mutter zu finden, um ihr zu sagen, dass ihr Ehemann tot war, erfuhren sie, dass auch sie jung verstorben war. Irgendetwas mit Alkohol. Leberversagen womöglich?
Als ich die Geschichte als Kind das erste Mal gehört hatte, hielt ich meine Großeltern für so unmöglich, so selbstsüchtig. Rauchten und tranken sich zu Tode, ließen meinen Vater und Onkel allein, bevor ihre Zeit gekommen war, beraubten uns der Möglichkeit, sie kennenzulernen. Aber jetzt, da ich Mom an der Fleecedecke herumspielen sah und Maris Hand auf meinem Knie spürte, fragte ich mich, ob meine Großeltern irgendwie geahnt hatten, was die Zukunft für sie bereithielt. Ob sie einen Blick darauf erhascht und einen anderen Abgang gewählt hatten, ehe der Dämon sich bei ihnen einnisten und seine teuflische Brutstätte errichten konnte.
Der Gedanke ließ mich frösteln. »Was ist mit Onkel Sebastian?«
»Er lässt sich testen«, sagte Mom.
Das Letzte, was ich wusste, war, dass sie Papis Bruder nichts von der Diagnose erzählt hatten. Er lebte in Buenos Aires, und sie sprachen nur alle vier bis fünf Monate miteinander, wenn überhaupt. Wir standen unserem Onkel nicht nahe und Papi genauso wenig. Sie hatten ihn bisher nicht damit behelligen wollen.
» Querida , du und deine Schwestern … so wie die Krankheit sich verhält …« Mom zupfte an einem Faden meiner Decke. »Es tut mir leid. Ich habe das Gefühl, als wäre es unsere Schuld. Als hätte ich in der Lage sein müssen … Ich hatte ja keine Ahnung, wie es funktioniert.«
»Wir haben eine Fifty-fifty-Chance, es auch zu bekommen, Juju«, sagte Mari, und dann bröckelte die Maske aus Selbstbeherrschung, die sie aufgesetzt hatte. Die Angst war zurück in ihren Augen und in dem Moment sah meine große, taffe Schwester klein und schwach aus. Ihre Schultern waren nach vorn gesackt, der Pullover hing an ihr wie ein T-Shirt an einem Drahtbügel. »Es gibt einen Test. Sie können uns sagen, ob wir die Mutation auch haben. Fall es so ist …«
Ihre Worte hinterließen eine klaffende schwarze Wunde in meinem Herzen, als sie verklangen. Alles fühlte sich heiß und stickig an, mein Atem strömte in hastigen Zügen, an denen ich mich fast verschluckte, ein und aus. »Bist du … und die … Was hat Papi dazu gesagt?«
»Wir haben uns darauf geeinigt, es ihm nicht zu erzählen«, flüsterte Mom. »Die Sorge um euch … er würde sich die Schuld daran geben. Es würde alles nur noch schwerer für ihn machen.«
»Wir müssen vorbereitet sein.« Maris Wimpern waren dunkel und hingen voller Tränen. »Wenn wir früh mit der Behandlung
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