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Verlieb dich nie nach Mitternacht

Verlieb dich nie nach Mitternacht

Titel: Verlieb dich nie nach Mitternacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liza Kent
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Vorräte. Stellt sofort die Krüge zurück.«
    Maribel reichte es endgültig. »Was ist los mit dir, Grete? Siehst du nicht, was draußen vor sich geht? Diese Wilden bringen den Jungen um, wenn sie sich nicht schnell mit Alkohol volldröhnen können.«
    »Sie bringen uns alle um, wenn wir nicht Ruhe und Haltung bewahren«, entgegnete Agnes. Einen Augenblick lang nahm sie Maribel scharf ins Visier. Irgendetwas stimmte nicht mit dem Mädchen. Ihr Instinkt warnte sie seit ihrer ersten Begegnung vor ihr. Sie überlegte, woran es liegen mochte, dass Maribel ihr derart unsympathisch war. Lag es an den feinen Gesichtszügen, die ungewöhnlich für den derb-bäuerlichen Menschenschlag der Gegend waren? Oder war ihre andere, irritierende Art zu sprechen der Grund? Obwohl Maribel sich nach Aussage der Köchin bei den täglichen Hausarbeiten nicht durch besondere Geschicklichkeit auszeichnete, formulierte sie treffend und schnell. Trotz ihrer Schwachsinnigkeit, an der Agnes zunehmend zweifelte, schien sie über eine besondere Form von Wissen zu verfügen, deren Quelle sich Agnes nicht erschloss.
    Und noch etwas stimmte nicht. Maribel wirkte innerlich unabhängig. Als sei sie es nicht gewohnt, in einem großen Haushalt zu dienen. So benahm sich niemand ihres Standes, unabhängig von den Folgen, die die französische Revolution ausgelöst hatte. Gleichheit ließ sich nicht durch die Abschaffung der Adelstitel erreichen, nicht durch die Verkündigung neuer Gesetze. Entweder man wurde gleich geboren oder eben nicht.
    All diese Gedanken gingen Agnes durch den Kopf, während sie überlegte, wie sie auf Maribels Herausforderung reagieren sollte. Wenn sie nicht ihr Gesicht vor den Dienstboten verlieren wollte, musste sie die Fäden des Handelns selbst in der Hand behalten.
    »Hat mein Mann dich angewiesen, den Branntwein zu holen?«, fragte sie Ben.
    »Ja, gnädige Frau.« Ben ächzte unter seiner schweren Last.
    Agnes nickte. »Also gut.«
    Mit einer Handbewegung bat Agnes die Köchin, beiseitezutreten. Dann entriegelte sie selbst die Tür. Beim Anblick des hochgewachsenen Mannes, der sich von seinem Pferd neugierig zu ihr herabbeugte, fuhr sie mit einem Aufschrei zurück.
    Auch Andrej zog enttäuscht den Kopf zurück. Er hatte das Mädchen mit den seltsamen Augen erwartet, das er vorhin in der Tür bemerkt hatte, nicht die blässliche Dame, die jetzt vor ihm stand.
    »Schnell, wenn du dich beeilst, bist du an ihm vorbei, bevor er dich bemerkt«, drängte Maribel den Jungen. Er nickte beklommen. Doch die Krüge waren voll, er schleppte schwer an ihnen.
    Fast wäre Maribel ihm in die Hacken getreten, als sie ihm folgte. Sie stolperte, woran der intensive Blick des Kosaken, der ihr auf der Haut brannte, nicht unschuldig war. Als sie sich wieder aufrichtete, versperrte sein Säbel ihr den Weg. Die Spitze der gebogenen Klinge zeigte genau auf ihren Hals.
    »Du gefällst mir, mein Täubchen.« Andrej sprach Russisch. Sie verstand ihn nicht. Doch das raue Timbre seiner Stimme berührte Maribel tief. Eine merkwürdige Mischung aus Angst und Erregung erfüllte sie. Vorsichtig, um sich nicht zu verletzen, wich sie der scharfen Klinge aus.
    »Hände weg, Soldat.« Maribel würdigte den Reiter keines weiteren Blickes. Mit klopfendem Herzen setzte sie ihren Weg fort. Friedrich und die anderen warteten bereits auf sie.
    Ein erstickter Schrei entwich ihrer Kehle, als der Kosak sie vom Rücken seines Pferdes aus am Arm packte und zu sich herumschleuderte. Eine der beiden schweren Krüge, die sie trug, traf das struppige kleine Pferd in die Flanke. Schmerzgepeinigt stieg es in die Höhe. Sekundenlang schwebten die Hufe des Tieres direkt neben Maribels Kopf. Instinktiv sprang sie zur Seite. Die hinabhämmernden Hufe verfehlten sie nur knapp.
    Das Weiß leuchtete in den Augen des Kosaken, als er Maribel zu sich heranzog. Er war ihr so nahe, dass sie seinen warmen Atem auf ihrer Wange spürte. Sein harter Griff zwang sie auf die Zehenspitzen. Die Arme wurden ihr lang.
    »Lass mich los, du Idiot«, presste Maribel in der Hoffnung, dass er sie nicht verstand, zwischen den Zähnen hervor. Trotz ihrer misslichen Lage gab sie sich Mühe, seinem bohrenden Blick standzuhalten.
    Andrej stieß sie so heftig von sich, wie er sie vorher zu sich herangezogen hatte. In ihm arbeitete es. Dem Befehl seines obersten Generals folgend, hatte er Schlachten in ganz Europa geschlagen. Kräftige, ausgewachsene Männer waren unter den Strapazen, denen sie ausgesetzt waren,

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