Verlieb dich nie nach Mitternacht
Kosaken die Stirn.
Er sprach mit fester Stimme, die eindringlicher klang, als wenn er sie erhoben hätte. »Ich möchte, dass Sie auf der Stelle dieses Haus verlassen.«
Die beiden Männer maßen sich mit Blicken. Ein stummer Kampf.
Der niederrheinische Gutsherr, der trotz des blutunterlaufenen Streifens in seinem Gesicht farblos wirkte gegen den Kosaken, dem die schwarzen Haare unter der hohen Pelzmütze bis auf die Schultern fielen und ihm ein exotisches Aussehen verliehen.
Wie gebannt hingen die Blicke der Frauen an dem Fremden. Nicht nur aus Furcht. Seine scheinbare Wildheit wirkte auf erschreckende Weise anziehend und weckte in ihnen primitivste Instinkte.
Andrej senkte schließlich als Erster die Augen. Auch, um Friedrich auf diese Weise Respekt zu zollen. Er fühlte sich unbehaglich, als er unter gesenkten Lidern seinen Blick über die Verwüstung in der Halle schweifen ließ, die er angerichtet hatte. Die entsetzten Blicke der Frauen und Kinder stachen ihn wie Pfeile. Mit den Augen suchte er nach Maribel, um in ihrem Gesicht zu lesen. Enttäuscht konnte er sie nirgends entdecken.
Wie hatte er auch ernsthaft annehmen können, ihr mit seinem Toben imponieren zu können?
Entschlossen straffte er sich. In seinem neuen Leben war er ein Kosak und stolz darauf. Ein freier Mann, wie es in der Landessprache der Tataren hieß. Ein Nachkomme der Aufsässigen, die in die Steppe emigriert waren, um der Leibeigenschaft zu entgehen. Im Alter von drei Jahren hatte er zum ersten Mal auf dem Rücken eines Pferdes gesessen, mit fünf war er zum ersten Mal seinem Vater hinterhergeritten. In der Schärpe baumelte der Säbel, den sein Vater ihm zur Taufe in die Wiege gelegt hatte, so wie es Brauch war.
Andrej rief sich all das in Erinnerung, als er ohne ein weiteres Wort sein Pferd wendete und den Kopf einzog, um beim Hinausreiten nicht an den Türrahmen zu stoßen. Hinter ihm stieß eine Frau einen entrüsteten Fluch aus, als sein Pferd wie zum Hohn einen großen Haufen Pferdeäpfel auf den Parkettboden fallen ließ. Es kümmerte ihn nicht.
Andrej hielt nach dem Mädchen Ausschau, das ihn seinen Seelenfrieden kostete.
*
Es musste nicht lange nach Maribel suchen. Nachdem sich die Lage entspannt hatte, scharrten sich seine Kosaken um sie und den Jungen. Durstig nach Wodka und mehr. Während Maribel die Becher, die ihr entgegengestreckt wurden, mit Branntwein füllte, schlug sie zornig mehr als eine Hand, die gierig nach ihr griff, zur Seite. Besonders ihre langen lockigen Haare hatten es den Männern angetan. Die eine oder andere Hand verirrte sich auch auf ihr properes Hinterteil. Andrej spürte, wie der Anblick ihn mit heftigem Zorn erfüllte. Barsch befahl er, das Mädchen in Ruhe zu lassen.
»Schenkt euch gefälligst selbst ein, ihr Ausgeburten der Hölle!«
Die Männer quittierten es mit einem unwilligen Knurren. Tagelang waren sie Richtung Rhein gezogen, in schweren Kohlennachen hatten sie übergesetzt. Nun fühlten sie sich hungrig und durstig und sehnten sich nach der liebevollen Berührung eines Weibes. Dort drüben im Haus versteckten sich genügend Frauen für alle. Wer sollte sie daran hindern, sich an ihnen für die Qual, die sie täglich aufs Neue ertrugen, schadlos zu halten? Wer verbot es ihnen, sich mit dem Mädchen zu vergnügen?
»Komm her.« Andrej schwang sich vom Pferd und bot Maribel die Hand.
»Sie sprechen Deutsch?«
»Verrat es keinem.«
Überrascht nahm sie seine Hand. Es war eine schmale Hand mit langen, schlanken Fingern, die weder zum Reiten noch zum Töten geeignet schien. Doch die rauen Schwielen an der Innenfläche, die sie fühlte, erzählten eine andere Geschichte. Dieser Mann war an harte körperliche Arbeit gewöhnt.
Aber war es auch seine Bestimmung?
Als ihre Finger sich berührten, spürte Maribel ein Kribbeln, das wie elektrischer Strom durch ihre Adern floss. Er ließ es nicht zu, dass sie zurückzuckte, sondern hielt ihre Hand ganz fest. Die Spannung, die sich zwischen ihnen aufbaute, nahm Maribel den Atem. Doch ihr Verstand kämpfte dagegen an.
Was auch immer ihr Körper ihr zu signalisieren versuchte – der Kosak, der ihre Hand anscheinend für immer in seiner behalten wollte, so fest hielt er sie – war unberechenbar und wild. Sein Ritt ins Herrenhaus bewies, dass er weder auf Menschen noch auf Besitztümer Rücksicht nahm. Vermutlich diente seine Uniformschärpe nur dazu, unzählige gebrochene Frauenherzen darunter zu verbergen.
»Schick den Jungen ins Haus. Wir
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