Verlieb dich nie nach Mitternacht
Ihm selbst waren zwei unter dem Hintern weggeschossen worden. Sein Kommando brauchte Nachschub, und zwar dringend.
Nur mühsam beherrschte Friedrich sich, als die fremden Truppen so selbstverständlich von seinem Eigentum Besitz ergriffen. Er kannte Kosaken nur vom Hörensagen, doch der Ruf, brutal und wild auch gegen die Bevölkerung vorzugehen, eilte ihnen voraus. Deshalb beglückwünschte er sich selbst dafür, keine Waffen an seine Leute ausgeteilt zu haben. Wäre Michel, sein Meisterknecht, noch auf dem Hof, hätte er spätestens in diesem Moment heftige Gegenwehr geleistet. Ein sinnloses Unterfangen angesichts der zahlenmäßigen Überlegenheit der Kosaken. Doch er beobachtete, wie auch Jan, sein Pferdeknecht, nur mühsam an sich halten konnte, als nun ein Pferd nach dem anderen aus dem Stall getrieben wurde. Friedrich machte unwillkürlich einen Schritt auf ihn zu, um ihn davon abzuhalten, eine Dummheit zu begehen.
»Mein Name ist Friedrich von Leyen. Ich heiße Euch auf meinem Hof willkommen.« Um den Sinn seiner Worte zu unterstreichen, legte Friedrich die Hand erst auf sein Herz, bevor er mit allumfassender Geste in die Runde zeigte.
Andrejs Mundwinkel zuckten ironisch. Im nächsten Moment spie er aus. Er verfehlte Friedrich nur um wenige Zentimeter.
Friedrich spürte die Blicke seiner Männer im Nacken. Auch vermutete er, dass die Frauen vom sicheren Haus aus zu ihnen herübersahen. Sie und sein Kind galt es zu schützen. Er durfte sich nicht provozieren lassen. Obwohl er diesen unverschämten Flegel am liebsten auf der Stelle aus dem Sattel gehoben hätte. Mühsam riss er sich zusammen. Sollte sein Gegenüber ihn doch für feige halten.
Die Kosaken trieben nun die Pferde zusammen. Alle. Brabanter und Roerländer, stämmige Tiere, wie sie hier in der Gegend für die Feldarbeit gehalten und vor Karren und Kutschen gespannt wurden. Nur Hilde, die alte, auf einem Auge blinde Stute ließen sie ihm im Stall. Für sie schien es keine Verwendung zu geben.
»Entschuldigung. Aber ich kann Ihnen die Tiere nicht lassen. Wir sind auf sie angewiesen. Ohne ihre Hilfe können wir die Felder im Frühjahr nicht bestellen.«
Der Mann vor ihm nahm ihn nicht zur Kenntnis. »Wodka«, sagte er stattdessen.
Friedrich zögerte. »Ich habe keinen Wodka. Nur Branntwein.« Er gab dem Schweinejungen ein Zeichen, damit der zum Haus lief, um aus den Vorräten eine Flasche zu besorgen. Doch der Junge stoppte erschrocken mitten im Schritt, als einer der Kosaken seine Pistole hob und scheinbar spielerisch auf ihn zielte.
Maribel, die es im Kreis der übrigen Mägde nicht ausgehalten hatte und die Szene durch einen Spalt im Vorhang verfolgte, hielt den Atem an.
Beschwichtigend hob Friedrich die Hände. »Ganz ruhig. Nicht aufregen. Der Junge holt Wodka für alle.« Er sprach das Wort »Wodka« überdeutlich aus und gab seiner Stimme bewusst einen festen Klang.
»Wodka?«
»Ja. Deutscher Wodka.« Friedrich gab dem verschreckten Jungen erneut den Befehl, ins Haus zu laufen, doch der starrte wie ein gebanntes Kaninchen auf den Pistolenlauf, der immer noch auf ihn gerichtet war.
Friedrich spürte, wie ihm ein Rinnsal kalten Schweißes den Rücken hinablief, als sich der Anführer der Kosaken zu dem Jungen hinunterbeugte.
»Hab keine Angst. Dir wird nichts geschehen«, sagte er. Seine Augen schienen bis in die Seele des Jungen zu sehen. Obwohl Ben die russischen Worte nicht verstand, fühlte er sich doch beruhigt. Langsam setzte er sich in Bewegung, rückwärts, zunächst zögernd. Plötzlich drehte er sich um und rannte wie um sein Leben.
Maribel, die ihn kommen sah, entriegelte die Tür und trat zurück, um ihn vorbeizulassen. Einen Augenblick nur war sie im Dämmerlicht des Zimmers deutlich zu erkennen. Es reichte, um Andrejs Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Gebannt betrachtete er das feingliedrige Mädchen mit den dunkelbraunen Locken und den steingrauen Augen. Sein Herz machte einen Freudensprung. Er drückte seinem Pferd die Fersen in die Flanken, um seinem Schicksal ein Stück näher zu sein. Erschrocken schlug Maribel die Tür zu, als sie ihn auf sich zureiten sah.
»Lauf«, befahl sie dem Jungen. »Den Branntwein findest du im Keller. Stimmt doch?« Herausfordernd blickte sie zu Grete hinüber. Nur die Herrschaften selbst verfügten über den Weinkeller, der sich aus gutem Grund im Herrenhaus selbst befand. Vom Gesinde durften nur Grete und der Meisterknecht sich mit Erlaubnis der Herrschaften an den Vorräten
Weitere Kostenlose Bücher