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Verlieb dich nie nach Mitternacht

Verlieb dich nie nach Mitternacht

Titel: Verlieb dich nie nach Mitternacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liza Kent
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bedienen.
    Agnes und Grete, die beide nicht mitbekommen hatten, was draußen vor sich ging, sahen beinahe gleichzeitig auf. Entrüstet über Maribels Eigenmächtigkeit, hob Agnes das Kind, das bis dahin wie gebannt an ihren Lippen gehangen hatte, von ihrem Schoß.
    »Was fällt dir ein, Maribel? Die Befehle in diesem Haus erteile noch immer ich.«
    »Im Augenblick ist wirklich nicht die Zeit für Formalitäten, gnädige Frau.« Maribels Herz klopfte wie wild bei dem Gedanken an den Kosaken, der sie vom Rücken seines Pferdes aus so eingehend gemustert hatte. Im flackernden Hoflicht hatte sie sein Gesicht kaum erkennen können. Doch nie würde sie den freudig überraschten Ausdruck seiner Augen vergessen, mit dem er ihren Anblick quittierte.
    Gespanntes Schweigen senkte sich über den Raum. Einen winzigen Augenblick lang nur hatte Maribel die ihr zugewiesene Rolle als schwachsinnige Dienstmagd vergessen.
    Als Agnes sich von ihrem Platz erhob, bemerkte sie, wie ihre Knie zitterten. Warum bloß fühlte sie sich nicht längst wieder so kräftig wie vor der Geburt? Mit ihren zweiundzwanzig Jahren war sie jung genug, um noch viele Kinder zu gebären. Doch eine unheimliche Kraft hatte ihr den Kampf angesagt, wollte sie in die Knie zwingen. Sie hätte Friedrichs Rat befolgen und mit ihm in die Stadt zum Arzt fahren sollen. Der kleine Wilhelm brauchte sie.
    Und sie durfte auch Friedrich, ihren Mann, nicht im Stich lassen. Sie musste ihm helfen, Haus und Hof zusammenzuhalten, trotz der unruhigen Zeiten, in denen sie lebten. Deshalb würde sie jetzt Maribel, das neue Mädchen, zurechtweisen. Ihre Autorität als Hausherrin verlangte es so.
    »Bitte folge mir nach nebenan, Maribel. Ich habe mit dir zu reden.« Ihr Ton duldete keinen Widerspruch.
    Plötzlich hatte Maribel das Gefühl, sich in einem Theaterstück zu befinden. Seit Beginn ihrer Zeitreise hatte sie sich darum bemüht, nicht aufzufallen, sich den Gepflogenheiten der Zeit anzupassen. Doch ein Blick in die Augen des Kosaken da draußen genügte, um in ihr den heftigen Wunsch nach Wahrhaftigkeit zu wecken. Sie sehnte sich danach, endlich wieder so zu sein, wie sie wirklich war, wie sie wirklich fühlte. Nämlich wie eine selbstsichere junge Frau des einundzwanzigsten Jahrhunderts, die angesichts von Problemen den Kopf nicht wie Vogel Strauß in den Stand steckte und Märchen vorlas.
    »Ihr Mann, gnädige Frau, hat dem Jungen befohlen, Wodka herbeizuschaffen, um die Kosaken zu beruhigen. Ich werde ihm jetzt helfen, den besten Branntwein hinauszutragen, den das Haus zu bieten hat. Ich möchte nämlich nicht, dass am Ende der Junge der Leidtragende des Abends ist.«
    »Wie sprichst du denn mit mir?«
    »Es tut mir leid, aber ich kann nicht anders.« So schnell sie konnte, folgte Maribel dem Jungen in den Wein- und Vorratskeller. Das dumpfe Gefühl begleitete sie, später für ihre Unverfrorenheit büßen zu müssen. Doch im Augenblick sorgte sie sich bloß um den jungen Schweinehirten. Nicht einmal seine eigene Mutter schien den Mut aufzubringen, ihm zur Seite zu stehen. Aber vielleicht täuschte sie sich auch. Schließlich hatte die Frau drei kleine Kinder mit Muttermilch zu versorgen. zwei eigene und demnächst noch Wilhelm. Da fehlte ihr vermutlich die Kraft, sich auch noch um den Ältesten zu kümmern, der mit seinen zwölf Jahren nahezu erwachsen war.
    Mit zwölf ist ein Kind nicht erwachsen, stellte eine zittrige Stimme in Maribels Kopf richtig. Sie selbst hatte mit zwölf Jahren miterleben müssen, wie ihre Mutter langsam innerlich vom Krebs zerfressen wurde, vor ihren Augen verfiel. Solche Bilder vergaß ein Kind sein Leben lang nicht, egal, wie alt es später wurde. Auch der Junge würde niemals mehr in seinem Leben vergessen, wie die geladene Pistole eines Kosaken auf seinen Kopf gerichtet war.
    »Alles in Ordnung mit dir?«, erkundigte Maribel sich behutsam, als sie sich neben dem Jungen vor das Branntweinfass kniete.
    Ben wischte sich die Nase an seinem Ärmel sauber. »Geht schon.« Drei Krüge waren bereits gefüllt, den vierten nahm Maribel ihm aus der Hand.
    »Ich helf dir.« Der Junge widersprach nicht.
    Gemeinsam schleppten sie die schweren Krüge nach oben. »Kann uns bitte jemand die Tür öffnen?«
    Unter den Augen ihrer Herrin fühlte Grete sich verpflichtet, Maribels eigenmächtigem Vorgehen Einhalt zu gebieten. Trotz ihrer eigenen Schmerzen versuchte sie, Maribel und dem Jungen den Weg zu versperren. »Niemand geht ohne meine Erlaubnis an die

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