Verliebt bis unters Dach Roman
Umarmung heute vertrieb das letzte Bedauern wegen Mike. Und wenn sie sich bei Marilyn ein bisschen ausheulte, würde das den Rest auch noch auslöschen.
Marilyn war normalerweise in der Küche und kochte das Abendessen. Aber heute durchzog kein wunderbarer Duft die kleine Wohnung, kein Topf köchelte auf dem alten Gasherd vor sich hin. Liesel traf ihre Schwester im Wohnzimmer an, wo sie zusammengesunken auf dem Sofa hockte. Das war eindeutig ungewöhnlich, aber Liesel drängte es zu sehr, ihr die Neuigkeiten mit Mike mitzuteilen, als dass sie darauf geachtet hätte.
»Mike hat mich heute in die Wüste geschickt!« Sie warf sich auf das andere der beiden alten geblümten Sofas, dessen Federn protestierend aufstöhnten. »Es ist nicht deine Schuld, sondern meine!«, äffte sie ihn bitter nach. »Wie oft habe ich diesen Satz schon gehört? Warum kann ich keinen Mann länger halten? Meinst du, ich sollte meine Regeln etwas lockern und sie, na, du weißt schon, mehr anmachen? Ob es das ist? Meine Weigerung, erst mit ihnen ins Bett zu gehen, wenn ich ihren zweiten Vornamen und die Beinlänge kenne? Ist nicht deine Schuld, sondern meine? Was soll das eigentlich bedeuten? Ach, und bei der Arbeit erst. Die muffige Martha ist aus den Ferien wieder da. Ich dachte, ich bringe es ihr sanft bei, aber sie ist bloß eine fette Meckerin mit Sonnenbrand. Ach,
wie ich meinen Job hasse! Alle Jobs. Gestern Abend habe ich einem Gast seinen Teller mit Käsenudeln auf den Schoß gekippt, und Carlos hat mich so angeblafft, dass ich nur noch wie einer von Alex’ Zombies rumgelaufen bin...«
Liesel verstummte. Marilyn hätte sie normalerweise unterbrochen, eine beruhigende Bemerkung gemacht oder ihre Unterstützung gemurmelt.
»Weißt du was? Ich glaube, ich hasse mein Leben jetzt wirklich hundertprozentig.«
Eine derart melodramatische Bemerkung hätte einen Funkenregen an Mitleid ausgelöst, gefolgt von einer Ermahnung, nicht so dumm zu sein, aber heute sah Marilyn bloß zu ihrer Schwester hoch und sagte ein Wort, nur ein einziges Wort.
»Gut.«
Liesel kniff die Augen zusammen und sah sie überrascht an. Auf Marilyns Mitgefühl konnte man sich normalerweise immer verlassen.
Erst da fiel ihr die Flasche mit dem billigen Wein auf dem Tisch auf, die Art von Belohnung, die sie sich an guten Tagen gönnten. Zwei Pfund fünfundneunzig im Eckladen. Sie hatten ihn »Rohrglanz« genannt, denn der Bodensatz brachte den Ausguss der Küchenspüle immer besser zum Glänzen als das beste Putzmittel.
Liesel blickte vom Wein zu ihrer Schwester, die zusammengesunken auf dem Sofa vor ihr saß.
»Hast du gerade gesagt, das wäre gut?«, fragte sie ungläubig.
Marilyn nickte ein wenig zu eifrig. »Du sagtest, du hasst dein Leben. Und ich habe >gut< gesagt«, bestätigte sie.
Erst da betrachtete Liesel sie genauer. Marilyns große braune Augen waren so weit aufgerissen, dass Liesel das nur als Schock bezeichnen konnte. Sie waren nicht gerötet, was bedeutete,
sie hatte nicht geweint. Das war gut, hieß aber ganz offensichtlich, dass irgendetwas geschehen war.
»Marilyn, ist alles in Ordnung?«
»Ehrlich gesagt weiß ich das nicht.«
»Was ist denn?« Liesel setzte sich rasch neben sie, die Stirn sorgenvoll gerunzelt. Sie ergriff die Hand der Schwester.
»Ich hatte heute bei Stephen einen Termin.«
»Stephen?« Liesel runzelte die Stirn stärker, denn es dauerte einen Moment, ehe sie sich an den Anwalt erinnerte, den Marilyn seit ihrer bitteren Scheidung nicht mehr gesehen hatte. »Aber warum... was...?«, stammelte sie, plötzlich voller Angst. »Was wollte der denn? Warum hast du mich nicht angerufen?«
»Weil ich befürchtete, es ginge darum, dass er Alex haben wollte...«
»Oh mein Gott, das ist doch hoffentlich nicht wahr? Bitte sag, dass das nicht stimmt. Er will doch nicht etwa das Sorgerecht, oder? Nicht nach drei Jahren auf der anderen Seite der Welt. Das kann er doch nicht machen.«
»Nein, das ist es nicht. Ich meine, ja, es geht um Alex, aber nicht mit seinem Vater... Nun, es geht dabei auch um Nick, aber nicht direkt. Es betrifft ihn vermutlich...«
Liesel sah ihre Schwester mit offenem Mund an. So, wie sie stammelte und den Namen des sonst nie Erwähnten gleich zweimal aussprach - es war eine ernste Sache, sehr ernst.
Liesel versuchte ganz entgegen ihrer üblichen Rolle, sich innerlich zu beruhigen, und nahm Marilyns zitternde Hand zwischen die eigenen, ebenfalls zitternden Finger. Dann fragte sie: »Okay. Alex ist also in
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