Verliebt in den Feind?
getrauert hatte. Nein, ein Aufruhr war bestimmt das Letzte, was die Familie jetzt gebrauchen konnte. Und da Caitlyn nicht wusste, ob der unhöfliche Fremde vielleicht doch ein Geschäftspartner war, beschloss sie, ihn vorerst in Ruhe zu lassen.
Nachdem Alyssa ihre Rede beendet hatte, verließ sie unter Tränen das Podium. Sogleich kam Joshua auf sie zu und legte tröstend den Arm um sie. Trotz der Schwierigkeiten in den letzten Wochen hatten die beiden ihr Glück gefunden und sich verlobt.
Während sie das Paar betrachtete, spürte Caitlyn plötzlich ein ungewohntes Gefühl in sich aufsteigen: nicht gerade Eifersucht, denn sie hatte nie irgendwelche romantischen Gefühle für Joshua gehegt, aber doch so etwas wie … Neid?
Immer war sie nur Caitlyn Ross gewesen, ein kumpelhafter Frauentyp. An der Universität war sie die Beste ihres Abschlussjahrgangs gewesen, heute war sie eine begnadete Kellermeisterin, die die Weine von Saxon’s Folly zu ihrer geschmacklichen Vollendung brachte. Schon zu Studienzeiten hatte sie jedoch irgendwie … zu den Jungen gehört.
Dabei wünschte auch sie sich, was für andere längst selbstverständlich war: einen Partner für ein harmonisches Leben zu zweit. Nicht, dass sie sich nicht wohlfühlte. Ganz im Gegenteil, sie liebte ihre Arbeit auf Saxon’s Folly. Eine Zeit lang hatte Caitlyn sogar gehofft, dass Heath Saxon und sie … Doch daraus war nie etwas geworden. Heath hatte in ihr nie die Frau gesehen, sondern immer nur den Kumpel.
Aber als der Fremde sie so ausführlich gemustert hatte, war sie sich ganz und gar nicht „wie einer der Jungen“ vorgekommen. Auch wenn sein Blick kühl und abschätzend gewesen war, voller Arroganz, so hatte sein Interesse doch klar ihr als Frau gegolten. Und so etwas war Caitlyn lange nicht passiert. Nicht zuletzt, weil sie Gelegenheiten wie dieser konsequent aus dem Weg gegangen war.
Was oder wer wohl gerade die Aufmerksamkeit des Fremden auf sich zog? Widerstrebend gab Caitlyn der Versuchung nach und wandte sich um. Doch er war nicht mehr da.
Rafael hatte gefunden, wonach er gesucht hatte.
Ruhig und gefasst bahnte er sich einen Weg durch die Menschenmenge und ging auf den großen Mann mit den würdevollen grauen Schläfen zu.
Phillip Saxon.
Hinter ihm blieb er stehen und wartete das Ende der Gedenkfeier ab. Er hatte die Sekretärin des Weingutes angerufen und sein Kommen angekündigt. Dabei hatte er ihren Protest – dass die Saxons zurzeit niemanden sehen wollten – geflissentlich überhört. Den Zweck seines Besuchs hatte Rafael nicht genannt, nur mitgeteilt, dass er der Eigentümer eines spanischen Weinguts von Weltruf sei.
Er hatte lange auf diesen Moment gewartet und wollte nicht, dass das Gespräch in der Öffentlichkeit stattfand.
Plötzlich kam die schlanke rotblonde Frau von vorhin auf ihn zu.
Aus zusammengekniffenen Augen beobachtete er, wie sie näher kam. Sie war nicht im eigentlichen Sinne schön – dazu fehlte ihr das Bewusstsein, begehrenswert zu sein –, aber sie hatte eine ungewöhnliche Ausstrahlung. In ihren blauen Augen lag eine Entschlossenheit … Betont herablassend erwiderte Rafael ihren Blick. Von dem, was er sich vorgenommen hatte – und weswegen er um die halbe Welt gereist war –, würde auch sie ihn nicht abbringen.
Die Gäste der Trauerfeier versammelten sich um eine Pergola, unter der ein Rebstock und ein Rosenbusch frisch in die Erde eingesetzt worden waren. Dort stand ein großer dunkelhaariger Mann und sprach zum Abschluss der Feier. „Diese neue Anpflanzung wurde zum Gedenken an meinen Bruder Roland angelegt. Möge er in unseren Herzen immer weiterleben.“
Also lebte Roland Saxon nicht mehr. Demnach musste der Redner Heath oder Joshua sein. Rafael sah sich nach Phillip Saxon um und spürte, wie Wut in ihm aufstieg.
Allmählich löste sich die Menge auf, und auch Phillip Saxon begann, sich zu entfernen.
Jetzt. Rafael legte ihm die Hand auf die Schulter. „Dis culpe.“
Überrascht wandte der ältere Mann sich um und betrachtete schweigend den jüngeren: die edle Nase, das zurückgekämmte dunkle Haar. Und die lebhaften Augen, die seinen eigenen glichen. Sollte dies …? „Nein. Das kann nicht sein.“ Ungläubig schüttelte Saxon den Kopf.
Wortlos wartete Rafael, bis Phillip Saxon vollends begriff.
Da stand plötzlich die rotblonde Frau neben ihnen und fragte: „Phillip, ist alles in Ordnung?“
Mit ihren blauen Augen sah sie Rafael argwöhnisch an. An dieser Frau war etwas
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