Verliebt in der Nachspielzeit
rechten Seite standen sogar einige Studenten, die keinen Platz mehr bekommen hatten.
Scherzhaft legte sie den Kopf schief, während über ihr die Neonröhren aufflackerten. „Der Kalte Krieg scheint sich großer Beliebtheit zu erfreuen. Einen Stuhl kann ich Ihnen noch anbieten“, sie deutete auf den Stuhl hinter dem Pult, den sie nicht brauchte, da sie in den nächsten 90 Minuten stehen würde. Niemand von den Studenten rührte sich, weshalb sie den Stuhl ein wenig beiseite rückte, falls jemand seine Meinung ändern sollte. „Wir werden heute 90 Minuten lang über die sowjetischen Satellitenstaaten sprechen, deshalb sollten Sie sich überlegen, ob Sie sich nicht doch eine Sitzgelegenheit suchen wollen. Ich bin sicher, die beiden letzten Reihen können ein wenig zusammenrücken.“
Ein untersetzter Student, den sie aus ihrem Einführungskurs kannte, kämpfte sich nun nach vorne und nahm ihren Stuhl mit einem dankbaren Lächeln, das sie erwiderte, entgegen.
„Gut, dann wollen wir anfangen, damit nicht noch mehr Zeit verloren geht.“ Sie senkte ihre Augen auf ihr Manuskript und räusperte sich , bevor sie wieder in den Raum schaute. „Satellitenstaaten basieren auf zwei Grundlagen: Abhängigkeit und Dominanz. Wenn wir über Dominanz sprechen, müssen wir selbstverständlich einen weiteren Akteur berücksichtigen, nämlich den ...“
Sie unterbrach sich, weil jemand eine Hand hob.
„Miss Dubois?“
Ein dunkelhaariger Mann, den sie noch nie in einer ihrer Veranstaltungen gesehen hatte, erhob sich und hielt eine Zeitung in der Hand. „Was sagen Sie zu den Gerüchten um John und Christine Shaw?“
Ihr Magen krampfte sich zusammen, während ihr ein kalter Schauer über die Kopfhaut fuhr. Verwirrt sah sie ihn an und wich unweigerlich zurück. Sie versuchte das Zittern ihrer Stimme zu unterdrücken. „Hören Sie. Dies ist eine universitäre Veranstaltung. Hier haben nur eingeschriebene Studenten Zutritt, also verlassen Sie bitte den Raum.“
„Ich hätte auch eine Frage!“ Eine junge Frau sprang ebenfalls auf. „Stimmt es, dass sich John von Ihnen getrennt hat? Und wie kommen Sie damit klar?“
Hilflos blickte Hanna umher, während immer mehr vermeintliche Studentinnen und Studenten mit Fragen um sich warfen. Sie konnte nicht begreifen, wie es die Presse geschafft hatte, sich Zutritt zur Uni zu beschaffen. Doch es waren ganz eindeutig Pressevertreter, die sich hier in ihrem Vorlesungsraum tummelten und handgroße Aufnahmegeräte in ihre Richtung hielten. Panisch fühlte sich Hanna ihnen ausgeliefert und schüttelte nervös den Kopf.
„Ich gebe keine Kommentare ab. Bitte verlassen Sie umgehend den Raum!“
„Hanna! Haben Sie das Foto von John und Christine gesehen? Was sagen Sie zu dem Kuss?“ Die junge Reporterin wedelte triumphierend mit einer Zeitung, auf der ein unscharfes Foto abgedruckt war.
Hanna räusperte sich und verlangte nach Ruhe, was ebenso ignoriert wurde wie ihre Aufforderung, den Raum zu verlassen. Sie zuckte zusammen, als plötzlich einer der Journalisten eine Kamera zückte und das Blitzlicht auslöste.
„Hören Sie damit auf!“ Sie hielt sich die Mappe vor das Gesicht. „Ich rufe den Sicherheitsdienst, wenn Sie nicht verschwinden!“
Als es zu einem Getümmel kam, ließ sie die Mappe sinken und sah erschrocken, dass einer ihrer Studenten mit einem der Journalisten zu Boden ging und eine Prügelei begann.
Jemand aus der ersten Reihe sprang auf sie zu und hielt ihr die Zeitung unter die Nase, während ein anderer ein Foto mit seinem Handy schoss. Hanna fuhr verwirrt zurück und versuchte, dem Kameraobjektiv auszuweichen.
„John hat sich gestern mit Christine getroffen ...“
„Schauen Sie hierher, Hanna!“
„Hanna ...!“
„Ein Kommentar, Hanna!“
Benommen nahm sie aus den Augenwinkeln wahr, dass eine ihrer Studentinnen hektisch den Raum verließ und laut nach dem Sicherheitsdienst rief, während die Schlägerei immer größere Auswüchse annahm. Hanna schob den aufdringlichen Journalisten samt seiner Zeitung beiseite und beugte sich hinab, um ihrem Studenten zu Hilfe zu eilen.
A ls zwei von Schokokeksen abhängige Sicherheitsmänner in den Raum gewatschelt kamen, war das Chaos perfekt. Grob wurde Hanna von einem der Journalisten, die urplötzlich fliehen wollten und übereinander fielen, umgestoßen und landete mit dem Jochbein an einer Stuhlkante.
„Wir können froh sein, wenn der Student nicht die Universität verklagt.“
Hanna biss sich auf die Innenseite
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