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Verliebt in die verrückte Welt - Betrachtungen, Gedichte, Erzählungen, Briefe

Verliebt in die verrückte Welt - Betrachtungen, Gedichte, Erzählungen, Briefe

Titel: Verliebt in die verrückte Welt - Betrachtungen, Gedichte, Erzählungen, Briefe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Insel Verlag
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Prüfung, und zweifle gar nicht daran, daß alles, was uns heilig und schön war, ihnen und künftigen Menschen es auch wieder sein wird. Der Mensch, so glaube ich, ist großer Erhebungen und großer Schweinereien fähig, er kann zum Halbgott steigen und zum Halbteufel sinken; aber er fällt, wenn er etwas recht Großes oder recht Säuisches getan hat, immer wieder auf seine Füße und auf sein Maß zurück, und dem Pendelschlag der Wildheit und Dämonie folgt unweigerlich der Rückschlag, folgt die dem Menschen unentrinnbar eingeborne Sehnsucht nach Maß und Ordnung.
    Und so glaube ich, daß zwar ein alter Mann heute nichts Hübsches von außen mehr zu erwarten hat und wohl daran tut, sich zu den Vätern zu legen, daß aber ein schöner Vers, eine Musik, ein aufrichtiger Aufblick zum Göttlichen heute mindestens so wirklich, so lebendig und wertvoll ist wie früher, im Gegenteil: es zeigt sich ja, daß das sogenannte »Wirkliche«, das der Techniker, Generäle und Bankdirektoren, immer unwirklicher, immer wesenloser, immer unwahrscheinlicher wird, sogar der Krieg hat, seit seiner Liebe zum Totalen, fast all seine Zugkraft und Majestät verloren: es sind riesige Schemen und Chimären, die einander in diesen Materialschlachten bekämpfen – während dagegen jede seelische Wirklichkeit, jedes Wahre, jedes Schöne, jede Sehnsucht danach, heut wirklicher und wesenhafter scheint als je.
    Aus einem Brief vom 7. Februar 1940
    W ie gut und tröstlich, daß wir vergessen können! Und wie gut und tröstlich, daß wir die Gabe des
     Gedächtnisses haben! Jeder von uns weiß um das, was sein Gedächtnis aufbewahrt hat, und verfügt darüber. Keiner von uns aber kennt sich aus im
     ungeheuren Chaos dessen, was er vergessen hat. Manchmal kommt nach Jahren und Jahrzehnten, wie ein ausgegebener Schatz oder wie ein vom Bauern
     aufgepflügtes Kriegsgeschoß, ein Brocken des Vergessenen, des als unnütz oder unverdaulich Weggeschobenen wieder an den Tag, und in solchen
     Augenblicken . . . will uns all das Viele, Kostbare, Herrliche, was den Bestand unsrer Erinnerung ausmacht, wie ein Häufchen Staub erscheinen. Wir
     Dichter und Intellektuellen halten sehr viel vom Gedächtnis, es ist unser Kapital, wir leben von ihm – aber wenn uns solch ein Einbruch aus der
     Unterwelt des Vergessenen und Weggeworfenen überrascht, dann ist stets der Fund, er sei erfreulich oder nicht, von einer Wucht und Macht, die unsern
     sorgfältig gepflegten Erinnerungen nicht innewohnt. Mir kam zuweilen der Gedanke oder die Vermutung, es konnte der Trieb zum Wandern und
     Welterobern, der Hunger nach Neuem, noch nicht Gesehenem, nach Reise und Exotik, der den meisten nicht phantasielosen Menschen zumal in der Jugend
     bekannt ist, auch ein Hunger nach Vergessen sein, nach Wegdrängen des Gewesenen, soweit es uns bedrückt, nach Überdecken erlebter Bilder durch
     möglichst viele neue Bilder.
    Aus »Engadiner Erlebnisse«, 1953
Baum im Herbst
    N och ringt verzweifelt mit den kalten
    Oktobernächten um sein grünes Kleid
    Mein Baum. Er liebt’s, ihm ist es leid,
    Er trug es fröhliche Monde lang,
    Er möchte es gern behalten.
    Und wieder eine Nacht, und wieder
    Ein rauher Tag. Der Baum wird matt
    Und kämpft nicht mehr und gibt die Glieder
    Gelöst dem fremden Willen hin,
    Bis der ihn ganz bezwungen hat.
    Nun aber lacht er golden rot
    Und ruht im Blauen tief beglückt.
    Da er sich müd dem Sterben bot,
    Hat ihn der Herbst, der milde Herbst
    Zu neuer Herrlichkeit geschmückt.
    1904
Allein
    E s führen über die Erde
    Straßen und Wege viel,
    Aber alle haben
    Dasselbe Ziel.
    Du kannst reiten und fahren
    Zu zwein und zu drein,
    Den letzten Schritt mußt du
    Gehen allein.
    Drum ist kein Wissen
    Noch Können so gut,
    Als daß man alles Schwere
    Alleine tut.
    6. Juni 1906
    V on Zeit zu Zeit erhebt sich in meiner Seele, ohne äußere Ursachen, die dunkle Welle. Es läuft ein Schatten über die Welt, wie ein Wolkenschatten. Die Freude klingt unecht, die Musik schal. Schwermut herrscht, Sterben ist besser als Leben. Wie ein Anfall kommt diese Melancholie von Zeit zu Zeit, ich weiß nicht in welchen Abständen, und überzieht meinen Himmel langsam mit Gewölk. Es beginnt mit Unruhe im Herzen, mit Vorgefühl von Angst, mit nächtlichen Träumen. Menschen, Häuser, Farben, Töne, die mir sonst gefielen, werden zweifelhaft und wirken falsch. Musik macht Kopfweh. Alle Briefe wirken verstimmend und enthalten versteckte Spitzen. In diesen Stunden zum Gespräch mit

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