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Verliebt in die verrückte Welt - Betrachtungen, Gedichte, Erzählungen, Briefe

Verliebt in die verrückte Welt - Betrachtungen, Gedichte, Erzählungen, Briefe

Titel: Verliebt in die verrückte Welt - Betrachtungen, Gedichte, Erzählungen, Briefe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Insel Verlag
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ist immer und jederzeit unvollkommen und dreckig, und bedarf, um ertragen und wertvoll zu werden, der Liebe, des Glaubens.
    Aus einem Brief vom Januar 1933
Beim Schlafengehen
    N un der Tag mich müd gemacht,
    Soll mein sehnliches Verlangen
    Freundlich die gestirnte Nacht
    Wie ein müdes Kind empfangen.
    Hände laßt von allem Tun,
    Stirn vergiß du alles Denken,
    Alle meine Sinne nun
    Wollen sich in Schlummer senken.
    Und die Seele unbewacht
    Will in freien Flügen schweben,
    Um im Zauberkreis der Nacht
    Tief und tausendfach zu leben.
    Juli 1911
    D as ist mein Fluch und Glück, daß ich keine Schönheit grob und froh genießen kann, daß ich sie auflösen, durchdringen, in Einheiten zerlegen und über die Möglichkeit ihres Wiederaufbaues auf künstlerischem Wege nachdenken muß.
    Nur zuweilen kommt das alte schwere Wesen, das ich so konsequent von mir abstreifte, für Augenblicke anklingend wieder über mich – die alte unschuldig
     stumpfe Hingebung und rechenschaftslose Schwelgerei. Diese Augenblicke müssen immer seltener werden, ich darf um ihre kurze trübe Lust nicht mein
     Ideal verkaufen, denn ein völliges Zurückehren in die harmlose Dämmerung ist mir doch nie mehr erlaubt. Wenn irgendwo, so liegt für mich Lust und
     Sinn des Lebens im Fortschreiten, im immer bewußteren Klarlegen und Durchdringen der Wesenheit und Gesetze des Schönen.
    Aus dem »Tagebuch 1900«
    W enn man, statt durch Denken, durch Träumen, durch Phantasieren oder Meditieren, die Seele bloß
     mechanisch durch ein Roulette in Schwung setzt, so ist das ungefähr dasselbe, wie wenn man für seinen Körper zwar Bad und Masseur in Anspruch nimmt,
     auf eigene Leistung, auf Sport und Training aber verzichtet. Auch die Anregungsmechanik des Kinematographen, der die eigene künstlerische Leistung
     des Auges, das Entdecken, Auswählen und Festhalten des Schönen und Interessanten, durch eine rein materielle Augenfütterung ersetzt, beruht auf dem
     gleichen Schwindel. Nein, ebenso wie man neben dem Masseur das Turnen braucht, so braucht die Seele, statt oder neben dem Spiel und allen diesen
     hübschen Anregungen, notwendig die eigene Leistung. Darum ist hundertmal besser als das Glücksspiel jede aktive Übung der Seele: straffe, scharfe
     Denk- und Gedächtnisübung, Übung im Reproduzieren gesehener Dinge bei geschlossenen Augen, abendliches Rekonstruieren des Tageslaufes, freies
     Assoziieren und Phantasieren.
    Aus »Kurgast«, 1923
    E twas schaffen, auch inmitten von Schmerzen, ist immer Glück, und es scheint die einzige Art von Glück,
     für die ich begabt bin. Was mir mein Leben schön, bunt und reich gemacht hat, ist meine Arbeit, d. h. die Freude des Produzierens.
    Aus einem Brief vom Mai 1920
Verlorener Klang
    E inmal in Kindertagen
    Ging ich die Wiese lang,
    Kam still getragen
    Im Morgenwind ein Gesang,
    Ein Ton in blauer Luft,
    Oder ein Duft, ein blumiger Duft,
    Der duftete süß, der klang
    Eine Ewigkeit lang,
    Meine ganze Kindheit lang.
    Es war mir nicht mehr bewußt –
    Erst jetzt in diesen Tagen
    Hör ich innen in der Brust
    Ihn wieder verborgen schlagen.
    Und jetzt ist alle Welt mir einerlei,
    Will nicht mit den Glücklichen tauschen,
    Will nur lauschen,
    Lauschen und stillestehn,
    Wie die duftenden Töne gehn,
    Und ob es noch der Klang von damals sei.
    Januar 1917
Im vierten Kriegsjahr
    W enn auch der Abend kalt und traurig ist
    Und Regen rauscht,
    Ich singe doch mein Lied zu dieser Frist,
    Weiß nicht, wer lauscht.
    Wenn auch die Welt in Krieg und Angst erstickt,
    An manchem Ort
    Brennt heimlich doch, ob niemand sie erblickt,
    Die Liebe fort.
    April 1917
Die Stadt
    » E s geht vorwärts!« rief der Ingenieur, als auf der gestern neugelegten Schienenstrecke schon der zweite Eisenbahnzug voll Menschen, Kohlen, Werkzeuge und Lebensmittel ankam. Die Prärie glühte leise im gelben Sonnenlicht, blaudunstig stand am Horizont das hohe Waldgebirge. Wilde Hunde und erstaunte Präriebüffel sahen zu, wie in der Einöde Arbeit und Getümmel anhob, wie im grünen Lande Flecken von Kohlen und von Asche und von Papier und von Blech entstanden. Der erste Hobel schrillte durch das erschrockene Land, der erste Flintenschuß donnerte auf und verrollte am Gebirge hin, der erste Amboß klang helltönig unter raschen Hammerschlägen auf. Ein Haus aus Blech entstand, und am nächsten Tage eines aus Holz, und andere, und täglich neue, und bald auch steinerne. Die wilden Hunde und Büffel blieben fern, die Gegend wurde zahm und fruchtbar, es

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