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Verliebt in die verrückte Welt - Betrachtungen, Gedichte, Erzählungen, Briefe

Verliebt in die verrückte Welt - Betrachtungen, Gedichte, Erzählungen, Briefe

Titel: Verliebt in die verrückte Welt - Betrachtungen, Gedichte, Erzählungen, Briefe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Insel Verlag
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Menschen gezwungen zu sein, ist Qual und führt unvermeidlich zu Szenen. Diese Stunden sind es, wegen deren man keine Schießwaffen besitzt; sie sind es, in denen man sie vermißt. Zorn, Leid und Anklage richten sich gegen alles, gegen Menschen, gegen Tiere, gegen die Witterung, gegen Gott, gegen das Papier des Buches, in dem man liest, und gegen den Stoff des Kleides, das man anhat. Aber Zorn, Ungeduld, Anklage und Haß gelten nicht den Dingen, sie kehren von ihnen allen zurück zu mir selbst. Ich bin es, der Haß verdient. Ich bin es, der Mißklang und Häßlichkeit in die Welt bringt.
    Ich ruhe heut von einem solchen Tage aus. Ich weiß, daß nun eine Weile Ruhe zu erwarten ist. Ich weiß, wie schön die Welt ist, daß sie für mich zu
     Stunden unendlich schöner ist als für irgend jemand sonst, daß die Farben süßer klingen, die Luft seliger rinnt, das Licht zärtlicher schwebt. Und
     ich weiß, daß ich das bezahlen muß durch die Tage, wo das Leben unerträglich ist. Es gibt gute Mittel gegen die Schwermut: Gesang, Frömmigkeit,
     Weintrinken, Musizieren, Gedichtemachen,Wandern. Von diesen Mitteln lebe ich, wie der Einsiedler vom Brevier lebt. Manchmal scheint mir, die Schale
     habe sich gesenkt und meine guten Stunden seien zu selten und zu wenig gut, um die üblen noch aufzuwiegen. Zuweilen finde ich im Gegenteil, daß ich
     Fortschritte gemacht habe, daß die guten Stunden zu- und die bösen abgenommen haben. Was ich niemals wünsche, auch in den schlechtesten Stunden
     nicht, das ist ein mittlerer Zustand zwischen Gut und Schlecht, so eine laue erträgliche Mitte. Nein, lieber noch eine Übertreibung der Kurve –
     lieber die Qual noch böser, und dafür die seligen Augenblicke noch um einen Glanz reicher!
    Aus »Wanderung«, 1918
Gute Stunde
    E rdbeeren glühn im Garten,
    Ihr Duft ist süß und voll,
    Mir ist, ich müsse warten,
    Daß durch den grünen Garten
    Bald meine Mutter kommen soll.
    Mir ist, ich bin ein Knabe
    Und alles war geträumt,
    Was ich vertan, versäumt,
    Verspielt, verloren habe.
    Noch liegt im Gartenfrieden
    Die reiche Welt vor mir,
    Ist alles mir beschieden,
    Gehöret alles mir.
    Benommen bleib ich stehen
    Und wage keinen Schritt,
    Daß nicht die Düfte verwehen
    Und meine gute Stunde mit.
    Juni 1912
    W em es nicht gegeben ist, mit der großen einseitigen Leidenschaft eines vom Dämon berührten Schicksals blind und glühend durch ein nie rastendes Leben zu stürmen, der tut wohl daran, sich zeitig in der Kunst der Erinnerung, der ersten aller Künste, zu üben. Die Kraft des Genießens und die des Erinnerns sind eine von der andern abhängig. Genießen heißt, einer Frucht ohne Rest ihre Süßigkeit entpressen. Und Erinnerung heißt die Kunst, einmal Genossenes nicht nur festzuhalten, sondern es immer reiner auszuformen. Jeder von uns tut das unbewußt. Er denkt an seine Kinderzeit und sieht dabei nicht mehr ein Wirrwarr von kleinem Geschehen, sondern die zur Phantasie gewordene Erinnerung spannt seligblaue Himmel über ihm aus und mischt das Andenken von tausend Schönheiten zu einem mit Worten nicht zu erschöpfenden Lustgefühl.
    Indem so das Rückwärtsschauen die Genüsse entfernter Tage nicht nur wiedergenießt, sondern jeden zu einem Sinnbild des Glückes, zu einem Sehnsuchtsziel und Paradies erhöht, lehrt es immer wieder neu genießen. Wer einmal weiß, wieviel Lebensgefühl, Wärme und Glanz er in eine kurze Stunde pressen kann, der wird nun auch die Gaben jedes neuen Tages möglichst rein aufnehmen wollen. Und er wird auch dem Leid gerechter werden; er wird einen großen Schmerz ebenso lauter und ernst zu kosten versuchen. Denn er weiß, daß auch das Andenken dunkler Tage ein schönes und heiliges Besitztum ist.
    Aus »Wenn es Abend wird«, 1904
    J e weniger ich an unsere Zeit glauben kann, je mehr ich das Menschentum verkommen und verdorren zu sehen meine, desto weniger stelle ich diesem Verfall die Revolution entgegen und desto mehr glaube ich an die Magie der Liebe. In einer Sache schweigen, über die alles klatscht, ist schon etwas. Über Menschen und Einrichtungen ohne Feindschaft lächeln, das Minus an Liebe in der Welt durch ein kleines Plus an Liebe im Kleinen und Privaten bekämpfen: durch vermehrte Treue in der Arbeit, durch größere Geduld, durch Verzicht auf manche billige Rache des Spotts und der Kritik: das sind allerlei Wege, die man gehen kann . . . Die Welt war nie ein Paradies, sie ist nicht früher gut gewesen und jetzt Hölle geworden, sondern sie

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