Verliebt in eine Diebin - Roman
Billardzimmer, eine leere Bibliothek und einen leeren Wintergarten abgesucht. Und jetzt stand sie in der leeren Eingangshalle. Kein einziger Anhaltspunkt, dachte sie. Miss Scarlet, hilflos in der Halle, allein mit ihrem Inhalator. Im goldenen Zeitalter, als die Männer noch Männer waren, hatten die Frauen ihre Drecksarbeit nicht selber machen müssen.
Was sie jetzt brauchte, war einer dieser altmodischen Typen, die Frauen aus höchster Not retteten und wie die Raben für sie klauten.
Oh, reiß dich zusammen, ermahnte sie sich. Lautlos schlich sie die Treppe hinauf und öffnete mehrere Türen zu leeren Räumen, bis sie ein Schlafzimmer mit überall verstreuten Seidendessous und einer Parfümwolke in der Luft fand. Solche Luxusgemächer bewohnte ein Typ Frauen, zu dem Tilda niemals gehören würde. Nicht zuletzt, weil ihr das Geld dafür fehlte.
Auf einem Schreibtisch schimmerte etwas. Mit zusammengekniffenen Augen spähte sie durch ihre Brille und erkannte den Deckel eines Laptops. Clea Lewis hatte ihren Computer geschlossen, aber nicht ausgeschaltet. Nachlässig, dachte Tilda und inspizierte alles, was diese Frau besaß und sorglos behandelte. Also wirklich, sie verdiente es nicht, einen Scarlet ihr Eigen zu nennen.
Im Erdgeschoss läutete ein Telefon. Tilda beschleunigte ihre Nachforschungen und sah im schwachen Licht der Straßenlampen, das durch die Vorhänge hereinschien, systematisch hinter alle Möbel und unters Bett. Was sie im Dunkeln nicht erkennen konnte, tastete sie ab.
So klein ist der Scarlet nicht, überlegte sie und wandte sich den vier getäfelten Schranktüren zu. Wo zum Teufel hat Clea das Bild versteckt?
Sie riss die beiden ersten Türen auf und schob die Kleider beiseite, um den Hintergrund des Schranks zu durchstöbern.
Da stand ein Mann.
Als Tilda sich umdrehte, um davonzulaufen, presste er eine Hand auf ihre Lippen und riss sie an sich. Sie trat nach ihm und traf sein Schienbein. Fluchend verlor er das Gleichgewicht, stürzte auf den Teppich und begrub sie unter sich.
Er wog mindestens eine Tonne.
»Okay«, flüsterte er in ihr Ohr, während sie an der Hand
zerrte, die ihr den Mund zuhielt und ihre schwachen Lungen in Gefahr brachte. »Bloß keine Panik.«
Ich kann nicht atmen, dachte Tilda und sog Luft durch die Nase ein - oder vielmehr den Staub, der vom Teppich aufgewirbelt worden war.
»Vor mir müssen Sie sich nicht fürchten«, fügte er hinzu. »Und ich habe auch keine verbrecherischen Absichten. Zumindest keine, die Sie betreffen.«
Wie ein Schraubstock umklammerte er Tilda. Ihre Lungen rebellierten, ihre Muskeln krampften sich zusammen, dichtes Dunkel legte sich über die Welt. Und dann wurde sie von vertrauter Todesangst gepackt.
»Ich muss nur sicher sein, dass Sie nicht schreien.« Sie würde ersticken. Sie hatte seit jeher damit gerechnet. Eines Tages würden sie ihre tückischen Lungen im Stich lassen, genau wie das ganze übrige Goodnight-Erbe...
Nein, so würde sie nicht sterben… Nicht mitten in einem kriminellen Akt. Nicht während sie ein tonnenschwerer Gauner, der ihre Lungenflügel zu Stein verwandelte, in seiner Gewalt hielt. Und als seine Stimme kaum mehr zu hören war, tat sie das Einzige, was ihr noch in den Sinn kam.
Sie biss ihn in die Hand.
2
An der Dinnertafel im Erdgeschoss lächelte Gwen dem netten, pausbäckigen Mason Phipps zu und versuchte, sich auf das Landschaftsgemälde zu konzentrieren, das er ihr zeigte. Nein, sie durfte sich nicht vorstellen, wie ihre jüngste Tochter auf der Jagd nach dem Beweis für ihre vergeudete Jugend das Haus durchstreifte...
»Was halten Sie davon?«, fragte Mason. Verwirrt zuckte Gwen zusammen. »Ein Corot«, betonte er und strich mit einer Fingerspitze über den Rahmen. »Da war sich Tony nicht sicher. Aber ich erklärte ihm: ›Eindeutig ein Corot.‹ Und der Sachverständige gab mir Recht - es ist ein Corot.«
Ein Goodnight, dachte Gwen. »Sehr schön.«
»Ja, das waren gute alte Zeiten, als ich mit Tony Bilder gesammelt habe...«, seufzte er wehmütig. Das fand Tony sicher auch, dachte sie. Nur mit halbem Ohr hörte sie zu, während Mason von der Vergangenheit schwärmte. Würde dieses Dinner denn niemals ein Ende nehmen? Mittlerweile hätte sie ein ganzes Double-Crostic-Rätsel lösen können.
»Ich bevorzuge die naive Malerei«, verkündete die Blondine am anderen Ende der Tafel, und Gwen wandte sich ihr zu. Clea Lewis sah so schön aus wie ein Frühlingsmorgen - sofern der Frühling schon über
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