Verliebt in einen Gentleman
zurück und lächelt auf einmal sein charmantes Lächeln, von dem ich immer weiche Knie bekomme.
„Du nimmst es mir doch nicht übel, dass ich so offen mit dir rede.“
Ich schüttle energisch meinen Kopf. „Nein, ich finde es gut, dass du mir solche Dinge sagst. Ich denke, vielleicht schwebt man so durch das Leben und macht lauter Fehler und dumme Dinge, und keiner traut sich, einem das zu sagen, vielleicht aus Gleichgültigkeit, oder auch aus falscher Rücksichtnahme. Aber es ist gut möglich, dass die Leute hinter meinem Rücken dann doch über mich lästern. Ich finde es gut, dass du so ehrlich bist, Ethan.“
Wieder lächelt er mich so an, dass mir ganz warm ums Herz wird.
„Ich mag dich wirklich sehr gut leiden, Lea“, sagt er jetzt. „Ich habe mich gleich in dich verliebt, als du so hilflos aus dem Zug geguckt hast. Wie geht es jetzt weiter? Sehen wir uns in Zukunft häufiger, auch wenn ich so ein Ekel bin?“
Ich sehe ihn entgeistert an. „Du? Ein Ekel? Das käme mir nie und nimmer in den Sinn. Wie unfair wäre das denn, so etwas von dir zu sagen, wo du doch nur um mein Wohl bedacht bist?“
Er schiebt eine Hand unter meine Haare, legt sie auf meinen Nacken und lenkt mit der anderen weiter. Die Geste ist so wunderbar, so zärtlich. Ich liebe ihn dafür.
Als wir zu später Stunde an der Somerset Close ankommen, lehnt Ethan sich zu mir herüber und gibt mir einen sanften Kuss auf den Mund.
Ich schaue ihm tief in die Augen und schmelze dahin.
Ich höre, wie meine Stimme von selbst sagt: „Möchtest du vielleicht noch herein kommen?“
Ethan sieht mich prüfend und nachdenklich an, dann sagt er: „Das würde ich wahnsinnig gerne, Lea, aber ich glaube nicht, dass das eine gute Idee wäre. Ich stelle mir unser erstes Zusammensein anders vor, nicht in einer staubigen Abstellkammer auf einem schmalen Bett. Es sollte etwas Besonderes sein, romantisch, unvergesslich, findest du nicht auch?“
Wieder einmal muss ich ihm recht geben, obwohl mein Körper, der alte Betrüger, ganz andere Signale an mein Hirn sendet. Also nicke ich und sage: „Ja. Das klingt sehr vernünftig.“
„Wir sehen uns wieder in Gatingstone“, sagt Ethan.
„Ja, morgen fahre ich zurück.“
„Ich freue mich schon.“
„Ich auch.“
Noch ein längerer Kuss, dann steige ich aus dem Auto. Als Ethan mit dem Wagen davon braust, muss ich mich einen kurzen Moment am Türrahmen festhalten, so schwindlig ist mir. Erst dann suche ich den Schlüssel und schließe auf. Wieder einmal dauert es ewig, bis ich einschlafen kann.
Am nächsten Morgen packe ich meine Reisetasche und mache mich auf den Weg zur Bushaltestelle. Der Bahnhof liegt im Süden, und der Bus fährt dorthin durch die Stadt hindurch. Als wir an der Altstadt mit ihren schönen Gebäuden und den Colleges vorbeifahren, macht mich der Gedanke wehmütig, dass ich längst nicht so viel gesehen und getan habe, wie ich mir für Cambridge vorgenommen hatte. Hier muss ich unbedingt wieder herkommen, um das nachzuholen.
Später sitze ich im Zug nach London und gehe die Erlebnisse der letzten Tage noch einmal im Gedanken durch. Das Museum. Die Bootsfahrt. Ob Jens schon wieder nach Deutschland zurückgekehrt ist? Ich schüttle meinen Kopf. Was für ein verrückter Kerl er doch ist! Fährt hunderte Kilometer durch Europa, nur um jemanden zu sehen, der von ihm nichts wissen will. Was würde Ethan wohl zu solch einem Verhalten sagen? Das ist ja fast noch naiver, als meines manchmal ist.
Ich denke an den tollen Abend im Trinity College, und wie ich über das Tor gestiegen bin. Das kaputte Kleid habe ich gleich in der WG noch entsorgt. Das werde ich nicht mehr brauchen, denn Ethan mag es nicht. Das rote Kleid habe ich natürlich eingepackt. Das werde ich wieder einmal tragen. Dann werde ich mich darin vorbildlich ernst und ladylike benehmen. Ethan wird staunen!
Ethan.
Er wird noch bis zum Ende der Woche in Cambridge bei seinem Bruder bleiben, aber wenn dann die Herbstferien vorbei sind, werden wir uns in der Schule fast jeden Tag sehen. Und abends...
Ich freue mich schon auf die Zeit, die jetzt auf mich zukommt und die sicher wahnsinnig schön werden wird.
Die Dame, die mir gegenüber sitzt, lächelt mich auf einmal so warm und herzlich an. Da merke ich, dass ich – ohne es zu wissen – wohl über das ganze Gesicht gestrahlt habe.
„Ein netter Tag, heute, nicht wahr?“, sagt sie in bester britischer Manier. „Talking about the weather“, ein Wettergespräch. Das ist,
Weitere Kostenlose Bücher