Verliebt in einen Gentleman
nach Landesbrauch, der beste Einstieg in eine gemütliche Unterhaltung.
Ich lächele jetzt bewusst zurück und sage: „Oh ja. Und auch die vergangenen Tage waren schön. Cambridge hat sich mir von seiner Schokoladenseite gezeigt.“
„Ach, sind Sie Touristin?“
„Ja und nein“, gebe ich bereitwillig Auskunft, „ich arbeite eigentlich für ein Jahr als Assistant Teacher, aber in den Herbstferien habe ich Cambridge besucht.“
„Wie schön! Das ist eine der sehenswerten Städte der Region“, erwidert sie. „Sie kommen aus Deutschland, nicht wahr?“
Ich werde etwas rot. „Oh je, erkennt man das immer noch? Ich hatte eigentlich gehofft, meinen Akzent hier los zu werden.“
„Behalten Sie ihn nur“, entgegnet sie großzügig, „der ist doch sehr charmant.“
„Aber nicht so toll bei einer Studentin, die später die Sprache unterrichten soll“, sage ich.
Jetzt fragt die Dame, die übrigens einen sehr gepflegten Eindruck macht, wo ich wohne.
„In Gatingstone“, antworte ich. „Ich bin dort an der Comprehensive School.“
„Ach“, sagt sie, „das nenne ich mal einen netten Zufall! Ich wohne auch in Gatingstone. Ich habe meinen Bruder und seine Familie in Cambridge besucht. Dann sind wir ja Reisegefährtinnen.“
In London werden wir von Kings Cross Station per Underground zur Liverpool Street Station wechseln müssen. Von dort geht unser Zug zurück in unser Dorf.
Ich freue mich, dass ich die Dame getroffen habe. Sie wird genau wissen, wo es in London lang geht. Für mich eine echte Erleichterung.
Wir plaudern über dies und das. Sie erzählt mir ein wenig von der kinderreichen Familie ihres Bruders, und dass ihr Aufenthalt dort schön war, aber dass sie sich auch auf zu Hause freut.
„Sie müssen verstehen“, sagt sie, „ich bin alleinstehend. Nennen Sie mich ruhig eine alte Jungfer. Da lernt man, seine Ruhe zu schätzen.“
„Ich liebe auch meine Ruhe“, sage ich, „aber so ganz ruhig ist es in meinem provisorischen zu Hause nicht.“ Ich erzähle ihr von Abby und Glen, und dass es mir zum Lernen und Arbeiten dort manchmal zu unbequem ist, weil beide den Fernseher so laut stellen.
„Sind das die beiden Alten, die so ein kleines Häuschen an der Hauptstraße haben?“, fragt mich die Dame. „Er gewinnt glaube ich regelmäßig Preise in der jährlichen Gartenausstellung. Seine Tomaten sind legendär.“
„Ja.“
„Da in deren Cottage ist es sicher sehr eng, so für drei Leute.“
„Oh ja“, erwidere ich wahrheitsgemäß.
Die Frau macht eine Pause und scheint nachzudenken. Dabei blickt sie ab und zu zu mir hin, dann wieder zum Fenster heraus.
Dann sagt sie: „Ich möchte Ihnen gerne etwas vorschlagen.“
Jetzt bin ich neugierig. Was kann es sein?
Sie spricht weiter: „Ich wohne in einem der Cottages in den Weaver's Mews. Natürlich ist mein Haus zu groß für mich alleine. Zur Zeit habe ich noch eine Mitbewohnerin. Sie arbeitet als Praktikantin bei Marks und Spencer's in Chelmsford. Sie heißt Maura und kommt aus Irland. In zwei Wochen fährt sie zurück nach Irland, dann wird ihr Zimmer frei. Hätten Sie nicht Lust, zu mir umzuziehen und meine neue Mieterin zu sein?“
Das Angebot klingt sehr verlockend, aber vorsichtshalber erkundige ich mich nach dem Mietpreis. Die Dame nennt ihn, und ich bin angenehm überrascht. Es ist deutlich weniger, als ich bei den Lanes zahlen muss. Wenn ich zu ihr umziehen würde, bliebe mir am Ende des Monats noch mehr Geld auf dem Konto.
Mein Gegenüber sieht, dass ich erfreut bin, und fügt hinzu: „Da gibt es allerdings einen Pferdefuß. Ich arbeite die ganze Woche über in London. Das bedeutet, dass Sie sehr selbstständig sein müssten. Ich kann nicht für Sie kochen und einkaufen. Auch um Ihre Wäsche müssten Sie sich selber kümmern. Ich wäre Ihnen sehr dankbar,
wenn Sie einen Teil der Hausarbeit mit übernehmen würden. Das erklärt den günstigen Preis.“
Anders, als die Frau meint, schreckt mich diese Ankündigung überhaupt nicht. Im Gegenteil – ich muss wieder an Ethans Mahnung in Saffron Walden denken, dass ich von Abby und Glen zu sehr bemuttert und verwöhnt werde. Natürlich hat er recht. Es wird Zeit, dass ich mich aus ihren gutmütigen Klauen befreie und meine Selbstständigkeit zurückgewinne.
Am liebsten würde ich gleich „ja“ sagen, aber die Dame schlägt vor: „Kommen Sie doch einfach mal bei mir an einem Abend vorbei, dann zeige ich Ihnen das Zimmer und das dazugehörige Bad, sowie das Haus. Dann
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