Verliebt in einen Unbekannten
flirtete.
Alice hielt ein sehr kurzes Kleid mit üppigen Chiffonärmeln in einem Nude-Ton in die Höhe. »Perfekt«, verkündete sie. »Dazu kombinieren wir eine beerenfarbige Strumpfhose und Stiefeletten mit Keilabsätzen ⦠Vielleicht sollte ich den Hairstylisten holen, damit er dir einen Out-of-Bed-Look verpasst«, überlegte sie. Ich kochte, war ich doch heute Morgen extra eine Stunde eher aufgestanden, um sicherzustellen, dass mein Haar nicht aussah, als käme ich gerade aus dem Bett!
Fünfundvierzig Minuten später starrte ich völlig entsetzt mein Spiegelbild an. »Das geht nicht!«, rief ich gequält. »Ich sehe aus, als wäre ich mindestens zwei Meter groÃ.« Die Keilabsätze waren gigantisch. Damit würde ich Sam meilenweit überragen. Das Kleid war ganz nett, aber es reichte mir kaum bis über den Hintern, und in meiner »Out-of-Bed-Frisur« steckte eine alberne Schleife. Es war nicht zu leugnen, dass ich aussah wie ein riesiges Kleinkind.
Alice lächelte. »Mach dir keine Gedanken wegen deiner GröÃe. Ihr werdet sowieso im Liegen fotografiert. Deine Beine sind übrigens groÃartig.«
Es war mir schnurzpiepegal, ob wir im Liegen oder von der Decke hängend fotografiert wurden: So, wie ich aussah, konnte ich schlicht und einfach nicht vor die Kamera treten. Sam und ich waren ohnehin schon gleich groÃ, da durfte ich doch nicht noch Absätze tragen! Ich versuchte, sie zu überreden, mir ein Paar flache Schuhe zu geben, aber sie weigerte sich. »Es wird toll aussehen«, schwärmte sie. »Deine schönen, langen Beine mit den klotzigen Stiefeln ⦠Geradlinig, kantig ⦠und dazu jede Menge sanfter Chiffon ⦠echt supi!«
Am liebsten hätte ich geweint.
Als ich endlich herausgeschlichen kam, die Augen fest auf den Boden geheftet, lag Sam bereits auf einer Chaiselongue inmitten eines grellweiÃen Kubus. »Na toll«, murmelte ich. Er wirkte so natürlich und entspannt wie Malcolm, der vor dem Kamin schnarchte.
Ich versuchte, unbemerkt zu ihm zu gelangen â ein ziemlich unsinniges Unterfangen â, doch noch bevor meine Keilabsatzstiefeletten dreiÃig Zentimeter zurückgelegt hatten, blickte er auf und stieà einen Pfiff aus. »Wow, Chas! Du siehst ECHT HEISS aus!«
Ich wurde knallrot und spürte sofort, wie Kaveh, der Art Director, sauer wurde. Leuchtend rote Gesichter sahen nicht gut aus vor grellweiÃem Hintergrund. Ich trippelte zum hinteren Ende der Chaiselongue und setzte mich, damit Sam nicht bemerkte, wie riesig ich war. »Ich sehe total bescheuert aus«, murmelte ich.
Sam zog die Augenbrauen hoch. »Du siehst absolut nicht bescheuert aus«, widersprach er mit fester Stimme. »Du siehst groÃartig aus, aber leider merkt man, wie unwohl du dich fühlst.«
Ich nickte kläglich. »Sie lassen mich nicht mal meine Brille tragen.«
Sam war erstaunt. »Die Brille â das bist doch du, Chas.«
Ich zuckte die Achseln. »Aber sie wollen nicht âºmichâ¹.«
Sam stand auf. »Lass mich mal machen«, sagte er. »Das wird ein Zeitungsbericht, keine Fantasystory.«
Verblüfft beobachtete ich, wie er zu Kaveh hinüberschlenderte und in meine Richtung deutete. Kaveh unterbrach ihn nach ein paar Sekunden, offenbar um mein Styling zu verteidigen, doch Sam hob die Hand und gebot ihm Einhalt. Selbst als sich der Fotograf einmischte, schüttelte er beharrlich den Kopf, höflich, aber unnachgiebig. Alle drehten sich zu mir, und dann sprach wieder Sam, und zwar ausgesprochen selbstsicher. Ein angenehmes Gefühl der Wärme stieg in mir empor. Sam verteidigte mich. Mich , nicht das, was Kaveh, Alice und die anderen Modefuzzis aus mir machen wollten. Das Verlangen, das ich seit Sams Umzug nach London verspürt hatte, nahm eine komplett neue Dimension an. Ich war richtig, richtig, richtig heftig in Samuel Bowes verliebt.
Ich wette, die dämliche Katia Wunderschön ist mir zuvorgekommen , dachte ich traurig, als mir einfiel, wie Sams Bühnenpartnerin ihn auf dem Foto angehimmelt hatte. Keine Schauspielerin konnte einen solchen Ausdruck vortäuschen.
Endlich wurden die Aufnahmen gemacht, ich trug die hübsche, schmal geschnittene pflaumenfarbene Hose, die ich mir für diesen Anlass gekauft hatte, und als Oberteil einen Kompromiss, der sich irgendwo zwischen meinem geschmackvollen Pullover und
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