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Verliere nicht dein Gesicht

Verliere nicht dein Gesicht

Titel: Verliere nicht dein Gesicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Scott Westerfeld
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auf ihr Brett, schnippte mit den Fingern und streifte sich den Rucksack über die Schultern. "Dann mach’s gut, Tally."
      "Mach’s gut, Shay. Ich wünschte ..."
      Shay wartete und bewegte sich im kühlen Septemberwind ein wenig auf und ab. Tally versuchte sich vorzustellen, wie Shay alterte, wie sie nach und nach runzlig wurde und zerfiel, ohne jemals wirklich schön gewesen zu sein. Ohne gelernt zu haben, sich richtig anzuziehen oder die vorgeschriebenen Tanzschritte auszuführen. Ohne dass jemals irgendwer in ihre Augen geschaut hätte und einfach überwältigt gewesen wäre.
      "Ich wünschte, ich hätte sehen können, wie du geworden wärst. Als Pretty, meine ich."
      "Jetzt musst du eben mit der Erinnerung an mein Gesicht in diesem Stadium leben", sagte Shay.
      Dann machte sie kehrt und ihr Hubbrett stieg in Richtung Fluss auf, und Tallys letzte Worte verloren sich im Tosen des Wassers.

 
 Operation
      

      
      Als es so weit war, wartete Tally allein auf den Wagen.
      Am folgenden Tag, nach der Operation, würden ihre Eltern vor dem Krankenhaus warten, zusammen mit Peris und ihren anderen älteren Freunden. So war es Brauch. Aber es war schon seltsam, dass hier auf dieser Seite niemand bei ihr war. Niemand verabschiedete sich von ihr, außer ein paar Uglies, die gerade vorbeikamen. Sie wirkten in Tallys Augen jetzt so jung, vor allem der frisch eingetroffene Jahrgang, der sie anglotzte wie einen Haufen Dinosaurierknochen.
      Sie war immer gern unabhängig gewesen, aber jetzt kam Tally sich vor wie der letzte Winzling, der darauf wartet, von der Schule abgeholt zu werden, verlassen und allein. Es war schon Mist, im September geboren zu sein.
      "Du bist Tally, ja?"
      Sie schaute auf. Es war ein frischer Ugly, der sich noch nicht daran gewöhnt hatte, plötzlich in die Höhe geschossen zu sein. Er zupfte an seiner Schuluniform herum, als sei die schon wieder zu eng. "Ja."
      "Bist du nicht die, die heute überwechselt?"
      "Genau, Kleiner."
      "Warum siehst du dann so traurig aus?"
      Tally zuckte mit den Schultern. Was wusste dieser Halb-Winzling, Halb-Ugly denn schon? Sie dachte daran, was Shay über die Operation gesagt hatte.
      Am Vortag war Tally zum letzten Mal vermessen und durch eine Bildwurfröhre geschoben worden. Sollte sie diesem neuen Ugly vielleicht erzählen, dass irgendwann an diesem Nachmittag ihr Körper aufgeschnitten werden würde, damit ihre Knochen zur richtigen Form zurechtgehobelt werden konnten? Dass einige gedehnt oder gepolstert wurden, Nasenknorpel und Wangenknochen entfernt und durch programmierbaren Kunststoff ersetzt wurden, man ihre Haut wegschrubbte und neu einsäte, wie auf einem Fußballplatz im Frühling? Dass ihre Augen für lebenslange perfekte Sicht mit Laser behandelt wurden, dass unter der Iris implantierte Reflektoren ihr nichts sagendes Braun mit funkelnden Goldflecken aufpeppen würden? Ihre Muskeln würden über Nacht durch Elektroimpulse gestrafft und ihr Babyspeck abgesaugt werden. Ihre Zähne würden durch Keramik von der Stärke eines Weltraumfliegers ersetzt werden, so weiß wie das gute Porzellan in der Schulmensa.
      Angeblich tat das alles nicht weh, bis auf die neue Haut, die sich einige Wochen lang anfühlen sollte wie der absolute Supersonnenbrand.
      Während diese Informationen über die Operation durch ihren Kopf wirbelten, konnte sie verstehen, warum Shay weggelaufen war. Man musste wirklich ungeheuer viel über sich ergehen lassen, nur um ein bestimmtes Aussehen zu erlangen. Wenn die Leute nur gescheiter wären, wenn die Evolution sie schon dazu gebracht hätte, alle gleich zu behandeln, auch wenn sie unterschiedlich aussahen. Oder hässlich.
      Wenn nur Tally das richtige Argument gefunden hätte, um Shay zum Bleiben zu bewegen.
      Wieder waren die Gespräche da, die sie sich so oft ausgemalt hatte, diesmal
      aber viel schlimmer als nach Peris' Verschwinden.
      In Gedanken hatte sie tausend Kämpfe mit Shay ausgefochten - lange, ausführliche Diskussionen über Schönheit, Biologie, Erwachsenwerden. Bei ihren vielen Ausflügen zu den Ruinen hatte Shay ihre Meinung über Uglies und Pretties gesagt, über die Stadt und die Welt draußen, darüber, was echt war und was Täuschung. Aber nicht ein einziges Mal wäre Tally auf die Idee gekommen, dass ihre Freundin wirklich weglaufen könnte und ein Leben voller Schönheit, Glamour, Eleganz aufgeben würde. Wenn sie nur das Richtige gesagt hätte. Oder überhaupt

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