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Verliere nicht dein Gesicht

Verliere nicht dein Gesicht

Titel: Verliere nicht dein Gesicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Scott Westerfeld
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Bilder auf dem Wandschirm - alles war wieder zur Ugly-Grundform geworden. Es sah aus, als sei eine fremde Person vorübergehend ein- und dann wieder ausgezogen und habe nur einen seltsamen Getränkekarton im Kühlschrank hinterlassen.
      Tally setzte sich aufs Bett und war zu verwirrt, um zu weinen. Sie wusste, dass sie bald losheulen würde, vermutlich im blödesten Moment und am unpassendsten Ort. Jetzt, wo ihre Begegnung mit Dr. Cable hinter ihr lag, verflogen ihre Wut und ihr Trotz und sie hatte nichts mehr, was ihr noch Kraft gab. Ihre Sachen waren verschwunden, ihre Zukunft war verschwunden, nur der Blick aus dem Fenster blieb.
      Sie saß da und starrte und musste sich alle paar Minuten erneut klarmachen, dass es wirklich passiert war: die grausamen Pretties, die seltsamen Gebäude am Stadtrand, das entsetzliche Ultimatum, das Dr. Cable ihr gestellt hatte. Tally hatte das Gefühl, als sei ein wilder Streich auf entsetzliche Weise schiefgegangen. Eine bizarre und entsetzliche neue Wirklichkeit hatte sich ihr eröffnet und die Welt verschlungen, die sie gekannt und verstanden hatte.
      Sie besaß nur noch die kleine Reisetasche, die sie für das Krankenhaus gepackt hatte. Sie konnte sich nicht einmal daran erinnern, wie sie sie mit zurückgebracht hatte. Tally zog die wenigen Kleidungsstücke heraus, die sie wahllos hineingestopft hatte, und fand Shays Zettel.
      Sie las ihn und suchte nach Anhaltspunkten.
        ***
         Über die Lücke spring mit der Acht bis hin zu einer, die lang ist und flach.
         Kalt ist das Meer, achte auf Brecher.
         Bei der zweiten mache den schlimmsten Versprecher.
         Nimm die Seite, die du verachtest, vier Tage darauf und pass bei den Blumen auf Feuerkäferaugen auf.
         Sind die gefunden, genieß den Flug über den Garten.
         Auf dem kahlen Kopf musst das Licht du erwarten.
        ***
      Kaum etwas ergab für Tally einen Sinn, höchstens ein Bruchstück hier und dort. Shay hatte offenbar den Sinn ihrer Mitteilung vor allen anderen verbergen wollen und nutzte deshalb Anspielungen, die nur sie und Tally verstehen konnten. Ihr Verfolgungswahn war plötzlich sehr gut nachvollziehbar. Jetzt, wo sie Dr. Cable begegnet war, begriff Tally, warum David seine Stadt - oder sein Lager oder was immer das war - geheim halten wollte.
      Während Tally den Zettel noch in der Hand hielt, ging ihr auf, dass Dr. Cable genau das gewollt hatte. Die Frau hatte die ganze Zeit dicht vor dem Zettel gesessen, aber niemand hatte sich die Mühe gemacht, Tally zu durchsuchen. Das bedeutete, dass Tally Shays Geheimnis bewahrt hatte und dass sie noch eine Handelsware besaß.
      Es bedeutete außerdem, dass auch die Specials und ihre Abteilung für Besondere Umstände Fehler machen konnten.
           ***
     Kurz vor dem Mittagessen sah Tally die anderen Uglies zurückkommen. Als sie aus dem Schulbus kletterten, reckten alle die Hälse und schauten zu Tallys Fenster hoch. Einige zeigten auf sie, ehe sie sich in den Schatten zurückziehen konnte. Wenig später konnte Tally draußen im Treppenhaus Kinder hören, sie verstummten, als sie an ihrer Tür vorüberkamen. Einige kicherten, wie neue Uglies eben kichern, wenn sie den Mund halten sollen. Lachten sie etwa über Tally?
      Ihr Magenknurren erinnerte Tally daran, dass sie kein Frühstück und am Vortag kein Abendessen bekommen hatte. Sechzehn Stunden vor der Operation waren weder Essen noch Wasser erlaubt. Sie war kurz vor dem Verhungern.
      Aber sie blieb bis nach dem Mittagessen in ihrem Zimmer. Sie konnte sich jetzt nicht in einer Mensa voller Uglies zeigen, die jede ihrer Bewegungen beobachten und sich fragen würden, womit sie es verdient hatte, ihr hässliches Gesicht behalten zu müssen. Als sie den Hunger nicht mehr ertragen konnte, schlich Tally auf die Dachterrasse, wo das restliche Essen bereitgestellt wurde, falls noch jemand etwas wollte.
      Ein paar Uglies sahen sie im Treppenhaus. Sie drängten sich aneinander und wichen Tally aus, als ob sie eine ansteckende Krankheit hätte. Was mochten die Hüter ihnen erzählt haben? Dass sie einen Streich zu viel versucht hatte? Dass sie inoperabel war, eine Ugly-fürs-Leben? Oder dass es sich bei ihr um einen Besonderen Umstand handelte?
      Wo immer sie hinging, überall wandten die Blicke sich ab, aber nie hatte Tally sich so sichtbar gefühlt.
      Auf dem Dach war ein Teller für sie bereitgestellt, eingewickelt in Plastikfolie und mit ihrem Namen

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