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Verliere nicht dein Gesicht

Verliere nicht dein Gesicht

Titel: Verliere nicht dein Gesicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Scott Westerfeld
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Metallskelette. Die Lichter vorn auf dem Brett blieben hell.
      "Bis hin zu einer, die lang ist und flach", sagte Tally vor sich hin. Sie hatte die Botschaft in- und auswendig gelernt, aber die Worte zu wiederholen ließ ihre Bedeutung nicht klarer werden.
      Zu einer was, das war die Frage. Einer Achterbahn? Einer Lücke? Ersteres wäre Blödsinn. Wozu sollte eine lange, flache Achterbahn gut sein? Und eine lange, flache Lücke? Vielleicht beschrieb das eine Schlucht, mit einem praktischen Fluss ganz unten. Aber eine Schlucht konnte doch nicht flach sein?
      Vielleicht war einfach "eins" gemeint, wie die Zahl. Sollte sie nach etwas Ausschau halten, was wie eine Eins aussah? Aber eine Eins war doch schon eine gerade Linie, war sozusagen eine lange und flache Bahn.
      "Danke für diesen tollen Tipp, Shay", sagte Tally laut. Selbstgespräche zu führen kam ihr hier in den äußeren Ruinengebieten nicht mehr so absurd vor, hier, wo die Hinterlassenschaft der Rusties mit dem Würgegriff der kriechenden Pflanzen rang. Alles war besser als gespenstisches Schweigen. Sie kam vorbei an riesigen betonierten Geländen, deren grauer Boden von hartnäckigen Gräsern durchbrochen wurde. Die Fenster der umgestürzten Mauern starrten zu ihr hoch, von Unkraut erfüllt, als ob die Erde sich Augen zugelegt hätte.
      Sie suchte den Horizont nach weiteren Hinweisen ab. Aber sie konnte nichts Langes und Flaches entdecken. Auf dem Boden, der unter ihr dahinzog, konnte Tally in der von Unkraut erstickten Dunkelheit kaum etwas erkennen. Sie konnte also an dem vorüberjagen, worauf der Hinweis sich bezog, und das nicht einmal bemerken, und dann würde sie die Strecke bei Tageslicht ein zweites Mal abfliegen müssen. Aber wie sollte sie wissen, ob sie zu weit geflogen war? "Danke, Shay", sagte sie noch einmal. Dann entdeckte sie auf dem Boden etwas und hielt inne.
      Aus der Decke aus Unkraut und Schutt tauchten geometrische Formen auf — eine Reihe von nebeneinanderliegenden Rechtecken. Sie senkte das Brett und sah, dass sich unter ihr Schienen mit querliegenden Brettern dahinzogen - wie die Achterbahn, nur breiter. Und diese Schienen gingen in gerader Linie weiter, so weit das Auge reichte.
      "Über die Lücke spring mit der Acht, bis hin zu einer, die lang ist und flach."
      Das hier war eine Achterbahn, nur eben lang und flach.
      "Aber wozu ist so was gut?", fragte sie sich laut. Eine Achterbahn ohne Kurven und Steigungen konnte doch keinen Spaß bringen.
      Sie zuckte mit den Schultern. Egal, was die Rusties sich dabei gedacht hatten, die Sache war jedenfalls perfekt für ein Hubbrett. Die Schienen zogen sich in zwei Richtungen, aber Tally wusste sofort, welcher sie folgen sollte. Die eine führte dahin zurück, woher sie gekommen war, zur Mitte der Ruinenstadt. Die andere ging nach draußen, nach Norden und offenbar in Richtung Meer.
      "Kalt ist das Meer", zitierte sie aus der nächsten Zeile von Shays Botschaft und fragte sich, wie weit nach Norden sie wohl fliegen musste.
      Tally ließ das Hubbrett schneller werden und freute sich darüber, dass sie die Antwort gefunden hatte. Wenn Shays kleine Rätsel alle so leicht zu lösen waren, würde diese Reise zum puren Kinderspiel werden.

 
 SpagBol
      

      
      In dieser Nacht kam sie sehr gut voran.
      Die Schienen jagten unter ihr dahin, sie schlugen träge Bögen um Hügel, überquerten auf baufälligen Brücken Flüsse und strebten immer weiter dem Meer entgegen. Zweimal kam Tally durch andere Rusty-Ruinen, kleinere Städte, die noch stärker zerfallen waren. Nur einige verbogene Metallkonstruktionen ragten noch zwischen den Bäumen auf, wie Totenfinger, die die Luft zu greifen versuchen. Ausgebrannte Bodenwagen standen überall und verstopften die Ausfahrtstraßen aus der Stadt. Sie hatten sich ineinander verkeilt, weil es in der letzten Panik der Rusties zu so vielen Zusammenstößen gekommen war. In einer dieser Ruinenstädte begriff sie auch, was es mit der langen flachen Achterbahn auf sich hatte. In einem Nest aus Schienen, die ineinander verflochten waren wie ein riesiges Schaltbrett, fand sie einige verrostete Achterbahnwagen, riesige Container voller Rusty-Kram, undefinierbare Haufen aus Rost und Kunststoff. Tally fiel jetzt wieder ein, dass die Rusty-Städte sich nicht selbst versorgen konnten, sie hatten immer mit anderen Städten Handel getrieben, wenn sie nicht gerade Kriege führten, um sich die Waren gegenseitig zu entreißen. Sicher hatten sie

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