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Verliere nicht dein Gesicht

Verliere nicht dein Gesicht

Titel: Verliere nicht dein Gesicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Scott Westerfeld
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Bruchstelle in den Schienen kam nach einer weiteren Stunde, es war eine zerfallene Brücke über einem Fluss, der sich aus den Bergen herunterschlängelte.
      Tally bremste ab und schaute über die Kante. Es ging nicht so tief nach unten wie beim ersten Mal, aber doch tief genug, um tödlich zu sein. Zu weit für einen Sprung. Zu Fuß zu gehen würde eine Ewigkeit dauern. Das Flusstal zog sich endlos dahin und nirgendwo war ein leichter Abstieg zu sehen.
      "Bei der zweiten mache den schlimmsten Versprecher", murmelte sie.
      Toller Rat. Was hatte Shay mit dem Versprecher gemeint? Ihr Gehirn war zu müde, um sich diesem Problem zu stellen, und das Brett hatte sowieso kaum noch Energie.
      Später Vormittag, Schlafenszeit.
      Aber zuerst musste sie das Hubbrett auseinanderklappen. Bei der Unterweisung durch die Specials war ihr erklärt worden, dass es zum Aufladen so viel Oberflächenkontakt mit der Sonne haben musste wie überhaupt nur möglich. Tally zog an den Öffnungshebeln und das Brett klappte auseinander. Es öffnete sich in ihren Händen wie ein Buch, wurde zu zwei Hubbrettern, die sich dann weiter und immer weiter entfalteten, wie eine Kette aus Papierpuppen, die auseinandergezogen wird. Schließlich hatte Tally acht miteinander verbundene Hubbretter nebeneinanderliegen, insgesamt zweimal so breit, wie sie groß war, und
      nicht dicker als ein Blatt festes Papier. Das Ganze zappelte in der steifen Meeresbrise wie ein riesiger Papierdrachen, aber die Magnete hinderten es am Davonfliegen.
      Tally strich das Brett flach und legte es in die Sonne, wo die metallische Oberfläche sich kohlschwarz verfärbte, während sie die Solarenergie aufsaugte. In wenigen Stunden würde es aufgeladen sein und sie würde problemlos weiterfliegen können. Sie hoffte nur, dass sie es ebenso leicht wieder zusammenfügen konnte, wie sie es auseinandergeklappt hatte.
      Tally zog ihren Schlafsack hervor, befreite ihn aus seiner Hülle und schlüpfte vollständig angezogen hinein. "Schlafanzug", fügte sie der Liste von Dingen hinzu, die sie hier vermisste.
      Sie nahm ihre Jacke als Kissen, schälte sich aus ihrem Hemd und bedeckte damit den Kopf. Sie spürte schon einen Anflug von Sonnenbrand auf ihrer Nase und ihr ging auf, dass sie nach Tagesanbruch vergessen hatte, einen Sonnenblocker aufzukleben. Perfekt. Ein bisschen rote, sich pellende Haut würde ja so gut zu den Schrammen in ihrem hässlichen Gesicht passen.
      Der Schlaf wollte sich nicht einstellen. Es wurde immer wärmer und es war seltsam, hier unter freiem Himmel zu liegen. Die Schreie der Seevögel hallten in ihrem Kopf wider. Tally seufzte und setzte sich auf. Vielleicht half es, wenn sie eine Kleinigkeit aß.
      Sie zog eine Packung nach der anderen aus dem Rucksack.
      Auf den Etiketten stand:
      SpagBol
      SpagBol
      SpagBol
      SpagBol
      SpagBol  ...
      Tally zählte einundvierzig Packungen, genug für dreimal SpagBol pro Tag, zwei Wochen lang. Sie ließ sich zurücksinken und schloss, plötzlich erschöpft, die Augen. "Danke, Dr. Cable." Wenig später war Tally eingeschlafen.

 
 Der schlimmste Versprecher
      

      
      Sie flog, sie jagte über den Boden, obwohl es unter ihr keine Schienen und nicht einmal ein Hubbrett gab, sie hielt sich durch pure Willenskraft und den Wind in ihrer geblähten Jacke in der Luft. Sie streifte den Rand einer massiven Klippe, die auf einen riesigen schwarzen Ozean hinausblickte. Eine Schar von Seevögeln verfolgte sie, ihr wildes Geschrei tat Tallys Ohren ebenso weh wie Dr. Cables Rasierklingenstimme.
      Plötzlich zerbrachen und zerrissen die Felsen unter ihr. Eine breite Kluft tat sich auf und der Ozean strömte mit einem Dröhnen hinein, das die Schreie der Seevögel übertönte. Tally wurde durch die Luft geworfen und stürzte dem schwarzen Wasser entgegen.
      Der Ozean verschlang sie, füllte ihre Lunge, ließ ihr Herz erstarren, so dass sie nicht aufschreien konnte ...
      "Nein!", brüllte Tally und fuhr im Schlafsack hoch.
      Ein kalter Seewind blies ihr ins Gesicht und schenkte ihr einen klaren Kopf. Tally sah sich um und ihr ging auf, dass sie, in ihren Schlafsack eingewickelt, oben auf den Klippen lag. Müde, hungrig und mit einem wahnsinnigen Druck auf der Blase, aber noch längst nicht vom Ozean verschlungen.
      Sie holte tief Luft. Die Seevögel schrien noch immer, jetzt aber in der Ferne.
      Dieser letzte Traum war nur einer von vielen Albträumen gewesen, in denen sie abgestürzt

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