Verliere nicht dein Gesicht
begraben.
"Der Wald ist hier viel weniger dicht", sagte David. "Das macht die Arbeit leichter. Ich hab nur Angst, die Quader könnten umkippen, wenn wir anfangen die Schienen herauszubrechen."
"Die sehen aber ziemlich solide aus."
"Meinst du? Dann schau mal her", sagte David. Er trat von seinem Brett auf einen Quader und kletterte dann zu einer Stelle, die in der untergehenden Sonne im Schatten lag.
Tally lenkte ihr Brett dichter an ihn heran und sprang neben David auf einen großen Felsen. Als ihre Augen sich an die Dunkelheit gewöhnt hatten, sah sie, dass sich zwischen den Quadern ein Hohlraum ausdehnte. David kroch hinein und seine Füße verschwanden in der Finsternis.
"Komm mit", rief seine Stimme.
"Äh, da liegt doch nicht wirklich eine Zugladung tote Rusties herum, oder?"
"Bisher hab ich noch keine gefunden. Aber heute ist ja vielleicht unser Glückstag."
Tally verdrehte die Augen und ließ sich auf alle viere sinken.
Sie kroch hinter David her und die Kälte der Felsen umschloss sie.
Vor ihr flackerte ein Licht auf. Sie sah, dass David sich aufsetzte und eine Taschenlampe aufleuchten ließ. Sie zog sich weiter und ließ sich dann neben ihn auf dem Felsabsatz nieder. Über ihnen ragten riesige Felsfor-mationen auf. "Der Tunnel ist also nicht ganz eingestürzt."
"Überhaupt nicht. Der Fels ist in Stücke gebrochen, in große und kleine." David richtete die Taschenlampe auf eine Felslücke zu ihren Füßen. Tally blinzelte in der Dunkelheit und erkannte da unten einen viel größeren Hohlraum. Ein metallisches Glitzern zeigte ein Stück Schienenstrang.
"Stell dir mal vor, wir könnten da runterkommen", sagte David. "Dann müssten wir nicht die vielen Pflanzen aus dem Boden reißen. Die Schienen da warten doch nur auf uns."
"Und nur hundert Tonnen Felsen liegen im Weg."
Er nickte. "Ja, aber es würde sich lohnen." Er richtete die Lampe auf sein Gesicht und zog eine Grimasse. "Seit Hunderten von Jahren war niemand mehr da unten."
"Klasse." Tallys Haut prickelte, ihre Augen zählten die dunklen Risse, die sie umgaben. Menschen waren vielleicht seit langer Zeit nicht mehr hier gewesen, aber es gab andere Wesen, die gern in dunklen, kühlen Höhlen lebten.
"Ich überlege mir immer wieder", sagte David, "dass der ganze Laden aufbrechen könnte, wenn wir nur den richtigen Quader bewegen."
"Und nicht zufällig den falschen, der dann dafür sorgt, dass wir allesamt zerquetscht werden?"
David lachte und hielt die Taschenlampe so, dass sie mehr auf Tallys Gesicht zeigte. "Ich hab mir schon gedacht, dass du das sagen würdest."
Tally starrte in die Dunkelheit und versuchte seinen Gesichtsausdruck zu erkennen. "Wie meinst du das?"
"Ich kann sehen, dass dir das Mühe macht."
"Mühe? Was denn?"
"Hier in Smoke zu sein. Du weißt nicht, was du von all dem hier halten sollst."
Wieder prickelte Tallys Haut, aber nicht, weil sie an Schlangen, Fledermäuse oder längst verstorbene Rusties dachte. Sie fragte sich, ob David auf irgendeine Weise erraten hatte, dass sie eine Spionin war. "Nein, ich weiß es wohl wirklich nicht", sagte sie tonlos.
Sie sah, wie das Licht für einen Moment in Davids Augen reflektierte, als er nickte. "Das ist gut. Du nimmst das ernst. Viele kommen her und glauben, hier gibt’s nur Spiel und Spaß."
"Das hab ich keine Minute lang geglaubt", sagte sie leise.
"Das weiß ich. Für dich ist das nicht nur ein Streich, wie für die meisten, die weglaufen. Sogar Shay, die wirklich davon überzeugt ist, dass die Operation falsch ist, kapiert nicht, wie todernst es in Smoke zugeht."
Tally sagte nichts.
Nach einem langen Moment des Schweigens in der Dunkelheit redete David weiter. "Es ist gefährlich hier draußen. Die Städte sind wie diese Quader. Sie sehen vielleicht solide aus, aber wenn du daran herumspielst, kann alles einstürzen."
"Ich glaube, ich weiß, was du meinst", sagte Tally. Seit dem Tag, an dem ihr die Operation verweigert worden war, hatte sie das massive Gewicht der Stadt auf sich lasten gefühlt und hatte am eigenen Leib zu spüren bekommen, wie sehr Orte wie Smoke Leute wie Dr. Cable bedrohten. "Aber ich verstehe nicht so ganz, warum die Städte euch so wichtig nehmen."
"Das ist eine lange Geschichte. Aber ein Teil davon ist …"
Sie wartete einen Moment, dann fragte sie: "Ist was?"
"Naja, das ist ein Geheimnis. Ich sage es eigentlich nur Leuten, die schon eine ganze
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