Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Verliere nicht dein Gesicht

Verliere nicht dein Gesicht

Titel: Verliere nicht dein Gesicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Scott Westerfeld
Vom Netzwerk:
Weile hier sind. Jahre. Aber du bist offenbar … ernst genug, um damit umzugehen."
      "Du kannst mir vertrauen", sagte Tally und fragte sich dann sofort, wieso eigentlich. Sie war eine Spionin, eine Infiltratorin Sie war die Letzte, der David vertrauen konnte.
      "Das hoffe ich, Tally", sagte er und hielt ihr seine Hand hin. "Fühl mal meine Handfläche."
      Sie ließ ihre Finger über seine Haut wandern. Die war rau wie der Holztisch im Speiseraum, sein Daumen hart und trocken wie altes Leder. Kein Wunder, dass er den ganzen Tag schuften konnte, ohne sich zu beklagen. "Meine Güte. Wie lange braucht man, um solche Schwielen zu kriegen?"
      "An die achtzehn Jahre."
      "An die ..." Sie verstummte ungläubig, dann verglich sie seine Hornhaut mit ihrer zarten, mit Blasen übersäten Handfläche. Und plötzlich konnte Tally es fühlen, die harte Arbeit eines Nachmittags, wie sie sie heute geschafft hatte, aber über ein ganzes Leben ausgedehnt. "Aber wie das?"
      "Ich bin nicht weggelaufen, Tally."
      "Das verstehe ich nicht."
      "Meine Eltern sind weggelaufen, nicht ich."
      "Ach." Jetzt kam sie sich dumm vor, doch auf diese Idee war sie einfach noch nicht gekommen. Wenn man in Smoke leben konnte, konnte man hier auch Kinder großziehen. Aber sie hatte keine Winzlinge gesehen. Und der ganze Ort kam ihr so karg vor und so provisorisch. Es wäre so, als bekäme man auf einem Campingausflug Kinder. "Wie haben sie das geschafft? Ohne Ärzte, meine ich."
      "Sie sind Ärzte."
      "Ach. Aber ... Moment mal, Ärzte? Wie alt waren sie, als sie weggelaufen sind?"
      "Alt genug. Sie waren keine Uglies mehr. Ich glaube, das wird Mittel-Pretties genannt?"
      "Ja, mindestens." Neue Pretties arbeiteten oder studierten, wenn sie das wollten, aber die meisten Leute interessierten sich erst in mittleren Jahren für irgendeinen Beruf. "Warte mal. Was soll das heißen, dass sie keine Uglies waren ?"
      "Sie waren eben keine. Aber jetzt sind sie welche."
      Tally versuchte seine Worte zu verarbeiten. "Du meinst, sie haben die dritte Operation nie gemacht? Sie sehen noch immer mittel aus, auch wenn sie schon Runzlinge sind?"
      "Nein. Tally. Ich hab es dir doch gesagt: Sie sind Ärzte."
      Tally verspürte einen Schock. Das war noch schlimmer als gefällte Bäume oder grausame Pretties, es war schwerer zu ertragen als alles, was sie seit Peris’ Operation erlebt hatte. "Sie haben die Operation rückgängig gemacht?"
      "Ja."
      "Sie haben sich gegenseitig operiert? Hier in der Wildnis? Damit sie wieder ..." Ihre Kehle versperrte sich diesem Wort, sie hatte das Gefühl, erwürgt zu werden.
      "Nein. Es gab keine Operation."
      Plötzlich schien die dunkle Höhle sie zu erdrücken, die Luft aus ihrer Brust zu pressen. Tally zwang sich zum Atmen.
      David entzog ihr seine Hand und eine Ecke von Tallys in Panik geratenem Gehirn begriff, dass sie sie die ganze Zeit festgehalten hatte.
      "Ich hätte dir das alles nicht sagen dürfen."
      "Nein, David, tut mir leid. Ich wollte nicht überreagieren."
      "Das war dumm von mir. Du bist gerade erst hergekommen und ich hab dir gleich all das aufgeladen."
      "Aber, ich will doch, dass du …", sie versuchte es nicht zu sagen, verlor den Kampf aber, "mir vertraust. Mir das alles sagst. Ich nehm das wirklich ernst." Das stimmte immerhin.
      "Sicher, Tally. Aber vielleicht reicht das fürs Erste. Wir sollten zu den anderen zurückkehren." Er wandte sich ab und kroch dem Sonnenlicht entgegen.
      Während sie ihm folgte, dachte Tally daran, was David über die Quader gesagt hatte. So massiv sie auch sein mochten, sie konnten umstürzen, wenn man sie in die falsche Richtung schob. Und sie konnten alles zerschmettern.
      Sie spürte, wie der Anhänger an ihrer Kette hin und her pendelte, es war eine sanfte, aber unnachgiebige Mahnung. Dr. Cable wartete sicher schon ungeduldig auf das Signal. Aber das, was David ihr erzählt hatte, machte plötzlich alles viel komplizierter. Smoke war nicht nur ein Schlupfwinkel für Flüchtlinge, das wusste Tally jetzt. Es war eine Stadt, eine eigenständige Stadt. Wenn Tally das Peilgerät aktivierte, würde das nicht nur für Shays großes Abenteuer das Ende bedeuten. David würde sein Zuhause verlieren, ihm würde sein ganzes Leben geraubt werden.
      Tally hatte das Gefühl, dass das Gewicht des Berges sie zu Boden drückte, und stellte fest, dass sie noch immer um Atem rang, als sie sich hinaus ins Sonnenlicht

Weitere Kostenlose Bücher