Verlockend untot
Brathähnchen, Kartoffelsalat, gebackene Bohnen, zum Nachtisch vielleicht Apfelkuchen oder Kekse – ja. Ein solches Picknick konnte ich jetzt gut vertragen.
»Na schön«, sagte ich und erklärte mich schneller einverstanden, als es klug war. Aber ich hatte echten Kohldampf. »Keine Zeitreisen.«
»Bist du sicher? Denn wenn ich gewinne …«
»Falls du gewinnst.«
»… bleibst du und bringst die ganze Strecke hinter dich. Ohne zu jammern.«
»Ich jammere nicht!«
»Abgemacht?«
»Meinetwegen«, sagte ich und versuchte, widerstrebend zu klingen.
»Gut«, sagte Pritkin freundlich. Und dann ließ er mich fallen.
Zwei Stunden später wankte ich in die Hotelsuite in Vegas, die derzeit mein Zuhause war, und sank mit dem Gesicht voran auf die Couch. Dort saß bereits jemand, aber das kümmerte mich nicht. Ich war zu müde, die Lider zu heben und festzustellen, um wen es sich handelte.
Jemand hob eins für mich, mit einem Finger so dick wie ein Hotdog. »Anstrengender Tag?«
Ich drehte das Auge – lieber Himmel, selbst das tat weh – und erkannte den Chef meiner Leibwache. Er sah auf mich herab.
»Nein. Ich mag es, aus Flugzeughöhe ohne Fallschirm in die Tiefe zu stürzen.«
Marco klopfte mir auf den Hintern, woran es vermutlich nichts auszusetzen gab, da ich bäuchlings auf seinem Schoß lag. »Offenbar ist alles in Ordnung mit Ihnen.«
Marco scheint in Hinsicht auf meine Gesundheit immer gleichgültiger
zu werden
, dachte ich missmutig. Er hatte seinen Job mit der Annahme begonnen, dass ich ebenso empfindlich war wie die meisten Menschen und praktisch einen Herzanfall bekam, wenn ich mir einen Nagel einriss. Nachdem er gesehen hatte, wie ich einige Dutzend Angriffe überlebte, begann er sich zu entspannen. Wenn ich heutzutage nicht mit einer klaffenden Wunde oder Blut spuckend heimkehrte, bekam ich von ihm kaum Mitleid.
»Weil es mir gelang, auf den Boden zu springen, bevor er mich zerschmetterte!«, stieß ich unwirsch hervor.
»Wo liegt dann das Problem?«
Ich drehte mich um, damit ich ihn anstarren konnte. »Das Problem besteht darin, dass ich gerade einen Marathon gelaufen bin, bei Eiseskälte und von einem Verrückten verfolgt.«
»Warum sind Sie nicht einfach …« Marco winkte mit einer Riesenpranke, die gut zu seiner bärigen Statur passte.«… Sie wissen schon. Poff.«
»Springen, meinen Sie?«
»Ja. Warum sind Sie nicht gesprungen?«
»Bin ich ja. Aber Pritkin hatte damit gerechnet und sich Jonas' Halskette ausgeliehen.«
»Welche Halskette?«
Ich seufzte und setzte mich auf. »Es ist eine Art Zauber, der es ihm gestattet, die Pythia im Notfall zurückzurufen. Wenn ich zu springen versuche, wann und wo auch immer… Die Halskette holt mich zurück.« Was Pritkin natürlich klar gewesen war, als er mir den Deal angeboten hatte.
Himmel, wie sehr ich bedauerte, ihm nicht das Knie in die Weichteile gestoßen zu haben!
Marco schien das alles für komisch zu halten, was meine Stimmung nicht verbesserte. Ich stand auf und torkelte ins nächste Zimmer, noch immer eiskalt und halb verhungert. Denn Pritkins Vorstellung von einem Picknick hatte einiges zu wünschen übrig gelassen.
Im Gegensatz zu meinem Bad. Wie dumm das auch sein mochte, mein Bad stimmte mich froh. Vielleicht lag es an der Größe, die ans Sündhafte grenzte, oder am beruhigenden weißblauen Farbschema oder am riesigen Duschkopf über der godzillagroßen Wanne. Oder es lag daran, dass das Bad der einzige Ort in der ganzen verdammten Suite war, an dem ich wirklich allein sein konnte.
Marco war nicht das Problem. Er hatte mich zuerst wie einen lästigen Plagegeist behandelt, aber im letzten Monat war er dazu übergegangen, so etwas wie eine görenhafte jüngere Schwester in mir zu sehen, und inzwischen mochte ich seine Gesellschaft sogar. Aber Marco war die Spitze des Eisbergs, soweit es meine Leibwächter betraf. Und seit der Bekanntgabe des Datums meiner Amtseinführung war die Anzahl der Leibwächter immer mehr gestiegen.
Alle gingen davon aus, dass es zu einem Angriff kommen würde, mich selbst eingeschlossen. In der übernatürlichen Welt herrschte Krieg, und es entsprach dem üblichen Prozedere, das Oberhaupt der gegnerischen Seite umzubringen. Ob es mir gefiel oder nicht, man hielt die Pythia für einen der wichtigsten Aktivposten unserer Seite.
Was nicht nur Pritkins Versuche erklärte, mir so viel Selbstverteidigung beizubringen, dass ich in dieser Hinsicht keine totale Niete war, sondern auch die Präsenz all
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