Verlockende Angst
den Mülltonnen herumgetrieben, dann hätte uns nichts aufgehalten. Wir wären schon im Innern des Hauses gewesen und hätten uns die Tasche mit Limodosen vollgestopft.
» Ich weiß, dass das merkwürdig aussieht, aber… «
» Die beiden sind hier herumgeschlichen « , unterbrach Lea Caleb und stemmte die Hände in die Hüften.
Ich hätte sie am liebsten auf den Kopf geschlagen. » Und was zum Teufel treibst du genau? « , fragte ich in scharfem Ton.
Die Wächterin neigte den Kopf, und ihr Mund verzog sich zu einem verzerrten Lächeln, das keinerlei Zähne zeigte. Dann erkannte ich sie. Es war Sandra, die Wächterin, die an mein Fenster gekommen war, als ich nachts im Schlaf geschrien hatte.
Lea starrte uns mit aufgerissenen Augen an. » Okay. Das ist komisch « , flüsterte sie so leise, dass nur wir es hören konnten. Sie verschränkte die Arme und legte den Kopf zur Seite. » Hier stinkt es wirklich, okay? « , sagte sie in dem wahrscheinlich hochnäsigsten Ton, zu dem sie fähig war. » Können wir die Sache schnell hinter uns bringen? «
Caleb lachte, erstickte aber fast daran.
Sandra wandte ihm den Kopf zu, griff gleichzeitig nach unten und löste ihren Covenant-Dolch. Den Blick immer noch auf Caleb gerichtet, legte sie die Finger um den Griff der Waffe.
» Ihr Götter… « Caleb trat zurück. Seine Miene verriet, dass er am liebsten gelacht hätte, sich aber zusammenriss. » Nicht nötig, die Angelegenheit mit einem Dolch zu regeln! Wir haben uns nur ein bisschen umgesehen. «
» Ja, wir sind fröhliche Halbblüter und vollkommen daimonenfrei. « Lea warf mir einen tückischen Blick zu. » Jedenfalls zwei von uns. «
» Ich breche dir alle Knochen! « , fauchte ich sie wutentbrannt an.
Lea verdrehte die Augen und wandte sich wieder an die Wächterin. » Ich habe nichts damit zu… oh Götter! «
» Was? « Lea stand mit offenem Mund da. Ich folgte ihrem entsetzten Blick.
Sandra war nicht allein. Hinter ihr standen drei reinblütige Daimonen, deren gespenstische Gesichter von dunklen Adern und leeren Augenhöhlen beherrscht wurden.
Erst glaubte ich an eine Sinnestäuschung. Mein Hirn versuchte, mich zum Handeln zu drängen, und plötzlich ergab das seltsame Verhalten der Wächterin einen Sinn. Sie trug keinerlei sichtbare Male, aber ich wusste ganz genau, dass sie ein Daimon war– vielleicht sogar jener Daimon, der hinter dem Angriff auf die junge Reinblüterin vor einigen Wochen steckte. Aber wieso war sie nicht untersucht worden? Die Lösung dieses Rätsels musste warten.
» O Mann « , flüsterte ich.
» Wir haben uns den falschen Abend zum Wegschleichen ausgesucht. « Calebs schlaksiger Körper spannte sich sprungbereit.
Einer der reinblütigen Daimonen trat vor und versuchte nicht einmal, sich durch Elementarmagie zu verbergen. Mir kam das merkwürdig vor, aber andererseits war ich auch keine Daimonenexpertin. » Zwei Halbblüter und… « Er sog die Luft ein. » Etwas anderes. Ausgezeichnete Arbeit, Sandra. «
Götter, waren Seths Apollyon-Läuse auf mich übergesprungen? Konnten sie mich jetzt riechen?
» Sie können reden? « , keuchte Lea und klang zutiefst entsetzt. Sie hatte bisher weder einen Daimon gesehen noch sprechen gehört.
» Reden wie ein Buch « , gab Caleb zurück.
Der reinblütige Daimon neigte den Kopf. » Sollen wir sie töten? «
Sandra, die Caleb nicht aus den Augen ließ, hob ihren Dolch. » Das ist mir gleichgültig. Ich habe so lange gewartet– deshalb gehört einer von denen mir ganz allein. «
Das Lachen des Daimons klang unecht. » Wenn du dir ein Halbblut krallst, brauchst du mehr als eins, Sandra. Sie sind ganz anders als die Reinblüter. Nur das Mädchen ist… etwas Besonderes. «
» Wir haben schon die Gardisten an der Brücke getötet. « Der Blick des zweiten Daimons glitt über Lea und mich, und sein Mund verzog sich zu einem grauenvollen Lächeln. Ich sah nur spitze Zähne. » Da hast du sicher schon Äther getrunken. Töte den Jungen und diese beiden nehmen wir mit. «
Vor Abscheu drehte sich mir der Magen um. Aus meinem tiefsten Innern brachte ich die Kraft auf, das überwältigende Entsetzen zu bannen. Es war verrückt und selbstmörderisch, ohne Titan gegen Daimonen zu kämpfen. Aber sicherlich waren irgendwo Gardisten und Wächter auf Patrouille– sie mussten einfach noch unterwegs sein. Sie würden uns hören und zu Hilfe kommen.
Das hieß, falls diese vier Daimonen sie nicht schon allesamt getötet hatten. Aber das mochte ich nicht
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