Verlockende Angst
ich, hätte ich noch einmal von vorn anfangen können, in der Lage gewesen, Lea aufzuhalten. Aber alles bewegte und veränderte sich unglaublich schnell.
Lea versetzte der Halbblut-Daimonin einen Schwinger, und ihre Faust rammte das Kinn. Durch den Schlag wurde der Kopf der Daimonin zurückgerissen, aber das war schon alles. Langsam wandte sie sich wieder zu Lea um und fing ihren zweiten Angriff ab. Sie verdrehte Lea den Arm, und das Knirschen brechender Knochen übertönte das Pochen des Bluts in meinen Schläfen. Ich schoss nach vorn, erreichte sie jedoch nicht.
Zeit… mir blieb nicht genug Zeit.
Lea wurde blass, schrie aber nicht. Keinen Laut gab sie von sich, obwohl ich wusste, dass sie unter Schmerzen litt. Sie stürzte nicht einmal, zuckte mit keiner Wimper. Nicht einmal dann, als die halbblütige Daimonin mit ihrem Covenant-Dolch ausholte.
Aber Caleb rannte wutentbrannt und zielbewusst wie der Blitz an mir vorbei. Er packte Lea am Handgelenk, riss sie aus dem Griff der Daimonin und stieß sie aus der Reichweite des Dolchs.
Und der Dolch fand ein anderes Ziel.
Ein Junge und ein Mädchen, einer von beiden mit einer strahlenden und kurzen Zukunft …
» Nein! « Der Schrei stieg aus meiner Kehle, aus meiner Seele auf.
Die Klinge bohrte sich tief in Calebs Brust, bis zum Heft. Er sah auf seine Brust hinunter und taumelte zurück. Die Vorderseite seines Shirts sah aus, als hätte jemand schwarze Farbe darüber gegossen.
Kurz bevor er zusammenbrach, schlang ich die Arme um seine Hüften. » Caleb! Nein. Nein! Sieh mich an, Caleb! «
Er öffnete den Mund, brachte aber kein Wort hervor. Sein Gewicht zog uns beide auf den kalten, schmutzigen Boden. Seine strahlend blauen Augen wurden stumpf und starrten auf etwas Unsichtbares.
» Nein « , flüsterte ich und strich ihm eine feuchte Haarsträhne aus der Stirn. » Nein, nein, nein. Das ist nicht wahr. Wir wollten uns nur etwas zu trinken holen, nichts weiter . Bitte! Wach auf, Caleb! «
Aber er wachte nicht auf. Ein Teil meines Gehirns, der noch funktionierte, sagte mir, dass Tote nicht mehr erwachten. Sie wachten nie wieder auf. Und Caleb war tot. Er war schon tot, bevor er den Boden berührte. Ein furchtbar scharfer und unabwendbarer Schmerz durchfuhr mich und entriss mir ein Stück meiner Seele.
Das Universum hörte auf zu existieren. Es gab keine Daimonen mehr, keine Lea. Nur noch Caleb– meinen besten Freund, meinen Begleiter bei allen meinen Abenteuern. Der einzige Mensch, der mich wirklich verstand. Meine zittrigen Finger glitten über seine kindlichen Wangen zum Hals, wo der Puls nicht mehr schlug. Mit Caleb ging meine Welt für immer unter. Ich zog ihn auf meinen Schoß und schmiegte die Wange an sein Gesicht. Wenn ich ihn lange genug festhielt und es mir stark genug wünschte, würde sich alles vielleicht nur als Albtraum erweisen. Ich würde sicher in meinem Bett aufwachen und Caleb würde noch leben.
Hände fuhren in mein Haar und rissen mich zurück. Ich wurde von Caleb weggezogen und fiel auf den Rücken. Benommen und vollkommen leer sah ich zu der Daimonin auf. Sie war einmal ein Halbblut gewesen– eine Wächterin– und darauf eingeschworen, Daimonen zu töten. Nicht ihre eigenen Leute.
Sie packte meinen Kopf und knallte ihn auf den Beton. Ich spürte es nicht einmal. Dunkler Zorn erfüllte mich. Er tobte durch mich hindurch, so stark, dass ich kurz den Verstand verlor. Sie würde Schmerzen erleiden und sterben.
Ich legte ihr die Finger um das Gesicht und drückte ihr die Daumen in die Augen. Kreischend ließ sie mich los und zerrte an meinen Händen. Irgendwo schrie und schrie jemand… und ich drückte noch fester zu. Tränen und Blut vermischten sich und strömten über mein Gesicht. Ich konnte nicht aufhören, sah nur noch vor meinem inneren Auge, wie sie Caleb die Klinge in die Brust stieß.
Alles war Schmerz. Ich hatte keine Ahnung, ob er körperlich oder geistig war. Er überrollte mich in glühenden Wellen. Und dann fuhr die Daimonin zurück und jemand ging neben mir in die Hocke. Feste, starke Hände legten sich behutsam um meine Handgelenke und zogen mich auf die Füße. Ich nahm den vertrauten Geruch nach Meer und brennendem Laub wahr.
» Beruhige dich, Alex! Ich halte dich fest « , sagte Aiden. » Beruhige dich! «
Ich war es, die schrie und ein furchtbares Kreischen ausstieß, das entsetzlich endgültig und zerstörerisch klang. Und ich konnte nicht aufhören. Aiden nahm mich an den Schultern und lehnte mich an die
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