Verlockung der Nacht
vergewissert hatten, dass es ihren Lieben gut ging. Bestimmt war auch Don nur geblieben, weil er sicher sein wollte, dass ich die Schlacht überstehen und die Menschheit schützen würde, indem ich einen Zusammenstoß zwischen Vampiren und Ghulen verhinderte. Jetzt allerdings konnte er in Frieden gehen.
Ich blinzelte die plötzliche Feuchtigkeit in meinem Blick fort. »Er hat recht«, krächzte ich. »Ich werde dich immer lieben und vermissen, aber du bist … du musst jetzt an einen anderen Ort gehen, nicht wahr?«
Mein Onkel schenkte uns beiden einen düsteren Blick. Er hatte zwar keine richtigen Lungen mehr, aber es hörte sich trotzdem an, als würde er erleichtert aufatmen.
»Leb wohl, Cat«, sagte er, seine ersten Worte an mich, seit dem Tag, an dem er gestorben war. Dann wurde die Atmosphäre um ihn herum dunstig, seine Züge verschwammen, und seine Umrisse wurden unscharf. Ich griff nach Bones’ Hand und spürte, wie seine starken Finger sich um meine schlossen und tröstend zudrückten. Anders als beim letzten Mal, als ich mich von ihm verabschieden musste, hatte Don jetzt wenigstens keine Schmerzen. Ich versuchte zu lächeln, als das Bild meines Onkels endgültig verblasste, doch eine neue Welle des Kummers erfasste mich. Das Wissen, dass er zu dem ihm bestimmten Ort ging, linderte nicht den Schmerz des Verlusts.
Als Don verschwunden war, wartete Bones noch ein paar Augenblicke ab, bevor er sich mir zuwandte.
»Kätzchen, ich weiß, dass das Timing schlecht ist, aber wir haben noch einiges zu erledigen. Die Kugeln aus deinem Leib entfernen, zum Beispiel, und die Leichen wegschaffen …«
»Ach Scheiße«, flüsterte ich.
Während Bones gesprochen hatte, war Don hinter ihm aufgetaucht. Mein Onkel machte ein ausgesprochen finsteres Gesicht und schwenkte in einem für ihn völlig untypischen Gefühlsausbruch die Arme.
»Kann mir mal einer erklären, warum zum Teufel ich nicht von hier wegkomme?«
1
Ich zerknüllte die vor mir liegende Rechnung und warf sie nur deshalb nicht fort, weil der Geistliche auch nichts dafür konnte, dass mein Onkel noch immer im Diesseits weilte, nachdem wir seine Asche in geweihter Erde bestattet hatten. Inzwischen hatten wir alles ausprobiert, was unsere Freunde – lebende, untote und andere – uns geraten hatten, um meinen Onkel in die ewigen Jagdgründe zu befördern. Nichts hatte funktioniert, was man daran erkennen konnte, dass Don vor mir hin und her tigerte, ohne dabei im eigentlichen Sinne den Boden mit den Füßen zu berühren.
Sein Frust war verständlich. Wenn man starb und nicht gerade vorhatte, zum Vampir oder Ghul zu werden, ging man eigentlich davon aus, dass man nicht länger in dieser Welt festhängen würde. Klar hatte ich schon mit Gespenstern zu tun gehabt – in letzter Zeit sogar ziemlich oft –, aber verglich man die Gesamtzahl der Verstorbenen mit der Anzahl existierender Geister, lag die Chance, zur Spukgestalt zu werden, doch bei unter einem Prozent. Und dennoch war mein Onkel in dieser seltenen Zwischenexistenz gefangen, ob es ihm gefiel oder nicht. Für einen Mann, dessen Fähigkeiten zur Manipulation seines Umfelds fast an die von Machiavelli herangereicht hatten, musste das umso ärgerlicher sein.
»Wir probieren was anderes«, meinte ich und zwang mich zu einem falschen Lächeln. »Hey, du bist doch Profi im Meistern widriger Umstände. Du hast es geschafft, die Welt des Übersinnlichen vor den Amerikanern geheim zu halten, obwohl es Komplikationen wie Handy-Videos, das Internet und YouTube gibt. Du findest schon einen Weg ins Jenseits.«
Mein Aufmunterungsversuch brachte mir lediglich einen bösen Blick ein. »Fabian hat das nie geschafft«, murrte Don und wies mit einer unwirschen Handbewegung auf meinen vor dem Büro herumlungernden geisterhaften Freund. »Und die unzähligen anderen auch nicht, die es zu dir hinzieht, seit du zum Gespenstermagnet mutiert bist.«
Ich wand mich innerlich, aber er hatte recht. Früher war ich der Meinung gewesen, es wäre das Ungewöhnlichste überhaupt, als Tochter eines Vampirs und eines Menschen geboren zu werden, aber das bewies nur, wie wenig ich über die seltsamen Launen des Schicksals wusste. Nach meiner Verwandlung zur vollwertigen Vampirin war ich eindeutig die seltsamste Person der Welt. Im Gegensatz zu jedem anständigen Vampir ernährte ich mich nicht von menschlichem Blut. Nein, ich brauchte untotes Blut zum Überleben, und daraus bezog ich mehr als nur Energie. Gleichzeitig nahm ich
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