Verloren
was sie alle strahlen – und mich lächeln lässt, weil mir wieder einfällt, dass Andrew damals, als ich noch klein war, auch immer etwas für mich dabei hatte und wie sehr ich mich gefreut habe, wenn er kam. Weil er mir – anders als andere Freunde meiner Eltern – das Gefühl gegeben hat, etwas Besonderes für ihn zu sein, und kein lästiger Störfaktor.
Es rührt mich, dass Matteo so aufmerksam ist und dass er so entspannt und selbstverständlich mit den Kindern umgeht. Vielleicht hat er ein besonders enges Verhältnis zu Adriana, weil sie die Große ist, aber jetzt, wo ich ihn mit den anderen sehe, wird mir klar, dass sie ihm alle viel bedeuten. Er ist ein Familienmensch, denke ich überrascht. Nur er selbst scheint in dieser Hinsicht überhaupt keine Ambitionen zu haben …
»Du sollst die Kinder doch nicht so verwöhnen, Matteo«, schimpft eine dunkelhaarige Frau, die jetzt aus der Eingangstür kommt.
»Und sie enttäuschen? Niemals!«, erwidert Matteo grinsend, aber sie ist ihm gar nicht wirklich böse, umarmt ihn liebevoll.
Ich erkenne sie sofort wieder – es ist Paola, die Frau, die auch auf dem Empfang war. Als sie mich sieht, wird ihr Lächeln strahlend.
»Sophie, wie schön, dass Sie mitgekommen sind! Giacomo kann gar nicht aufhören, über Sie zu reden.« Sie begrüßt mich mit Wangenküssen und blickt den Kindern nach, die schon wieder ins Haus stürmen. Dann wendet sie sich an ihren Schwager. »Hast du das Geschenk?«
Statt einer Antwort beugt sich Matteo erneut in den Wagen und holt das große und recht schwere Paket von der Rückbank.
»Wisst ihr eigentlich, wie anstrengend ihr sein könnt?«, sagt er und rollt genervt mit den Augen. »Erst Adriana, jetzt du. Als wenn ich das vergessen würde!«
»Hätte doch sein können, dass du gerade andere Dinge im Kopf hast«, gibt Paola zurück und zwinkert mir zu, doch ich erwidere ihr Lächeln nur zögernd, weil ich sehe, wie Matteos Augen sich bei diesem Kommentar verdunkeln. Seine Schwägerin nimmt das aber gar nicht wahr, sondern schiebt mich resolut in Richtung Haus. An der Tür lassen wir Matteo mit dem Paket den Vortritt, dann folgen wir ihm.
Das Haus ist nicht nur außen, sondern auch innen ein absoluter Traum, hell und lichtdurchflutet, und von der Art her ganz ähnlich eingerichtet wie Matteos Wohnung, mit einem sehr interessanten Mix aus hübschen Antiquitäten und Designer-Möbeln, von denen sicher die meisten aus dem Haus Bertani stammen. Außerdem schmücken auch hier wundervolle Gemälde die Wände, die mir sofort ins Auge fallen und mich daran erinnern, dass ich gerade bei einer der erfolgreichsten und vermutlich auch wohlhabendsten Unternehmer-Familien Italiens zu Gast bin. Die Bilder lenken mich ein bisschen von meiner Aufregung ab, die mit jedem Moment schlimmer wird. Doch als wir das Esszimmer erreichen, wo die Geburtstagsgesellschaft versammelt ist, bleibe ich überrascht stehen.
Ich hatte irgendwie erwartet – oder befürchtet –, dass alle am Tisch sitzen und mich neugierig anstarren würden, wenn ich komme. Und es gibt auch in der Tat eine lange, gedeckte Tafel, die vor einer Fensterfront mit einer sehr schönen Aussicht auf den See steht. Aber die Atmosphäre im Raum ist alles andere als steif, eher laut und lebhaft. Valentina sitzt am Kopfende des Tisches und sagt etwas zu einem dunkelhaarigen Mann mit sehr stylischem Vollbart, der links von ihr sitzt – neben den beiden Jungs von eben, die ganz aufgeregt die Geschenke auspacken, die Matteo ihnen gegeben hat. Auf der anderen Seite entdecke ich Adriana, die ein Shirt bewundert, das eins der Mädchen ihr hinhält. Die beiden anderen laufen hintereinander her um den Tisch, wo ein weiterer dunkelhaariger Mann auf und ab geht. Er hält ein weinendes Kleinkind im Arm und tröstet es, während eine Frau mit langen kastanienbraunen Haaren gerade einer älteren, etwas korpulenten Frau, die wie eine Angestellte wirkt, dabei hilft, etwas vom Boden aufzuwischen, das wie verschütteter Saft aussieht.
Es ist das pure Chaos gemessen an den ruhigen Teestunden mit meinen Eltern oder den gesitteten Dinnerpartys, die bei uns zu Hause bei Geburtstagen stattfinden – aber ich liebe es sofort, weil ich mir Familienfeiern eigentlich immer genau so vorgestellt habe. Vielleicht sehnt man sich immer nach dem, was man nicht hat. Und wenn man wie ich ohne Geschwister aufwächst und als sonstige Verwandtschaft nur einen einzigen Onkel aufzuweisen hat – den Bruder meines Vaters –, der noch
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