Verloren
ich nie und nimmer glaube. Doch dann wird mir klar, dass sie das nur sagt, um das »ihr« zu betonen. Sie weiß, dass er kommt – sie hat nur Angst, dass er »vergessen« könnte, mich mitzubringen.
Dann hat sie es plötzlich eilig, trinkt hastig die letzten Schlucke von ihrem Kaffee. »Ich muss jetzt los, bis morgen – ich freue mich schon!«, verabschiedet sie sich von uns und verschwindet wieder im Haus, nachdem sie Matteo, der sie begleiten will, versichert hat, dass sie alleine rausfindet.
Als sie weg ist, herrscht für einen Moment Schweigen zwischen Matteo und mir.
»Willst du nicht, dass ich mit zu deiner Familie komme?«, frage ich in die Stille – weil ich es einfach wissen muss.
Er fixiert mich mit einem Blick, der durchdringend ist und nicht zu seinem Lächeln zu passen scheint. » Nonna will es. Und ich kann ihr diesen Wunsch nicht abschlagen«, sagt er. »Dann regt sie sich auf, und das wäre nicht gut für ihr Herz.«
Auch das ist neu für mich. »Ist sie krank?«
Matteo nickt. »Der Arzt sagt, sie muss aufpassen – aber davon will sie nichts wissen.« Er zuckt mit den Schultern. »Ich hätte es dir noch gesagt, Sophie«, fügt er hinzu, so als wollte er jetzt, wo ihm der Grund wieder eingefallen ist, warum ich mitkommen muss, unbedingt dafür sorgen, dass ich es auch tue.
Aber ich bin noch mit der Information über Valentina beschäftigt. Der Empfang bei Giacomo fällt mir wieder ein und wie besorgt Matteo immer wieder zu seiner Großmutter geblickt hat, als wir uns das erste Mal miteinander unterhalten haben.
»Du hast es ihr versprechen müssen, oder? Dass du dich auf dem Empfang nicht mit mir streitest?«, frage ich, weil mir das plötzlich klar wird. Deswegen hat sie sich danach erkundigt – und deswegen hat er geleugnet, dass unser Gespräch alles andere als friedlich verlaufen ist.
Matteo nickt, und jetzt ist sein Lächeln wieder normal. Offenbar erinnert er sich auch noch an die Situation. »Aber es hat nicht funktioniert. Ich konnte ja nicht ahnen, wie ungeheuer streitlustig du bist«, sagt er.
Ich möchte sein Lächeln erwidern, auf seine neckende Bemerkung eingehen, möchte mich an das klammern, was wir die letzten Tage zusammen hatten, aber ich kann nicht. Nein, denke ich, es hat nicht funktioniert. Und es wird wahrscheinlich auch auf Dauer nicht funktionieren zwischen uns. Weil ich nicht dafür sorgen kann und er nicht dafür sorgen will.
Ich nehme meine Kaffeetasse, die ich längst ausgetrunken habe, und stehe auf, gehe zurück in die Küche und stelle sie erneut unter die Maschine, um mir noch einen Cappuccino zu machen. Doch während sie ihn lautstark aufbrüht, starre ich blicklos vor mich hin und habe plötzlich das Gefühl, vor einer Wand zu stehen. Es geht so einfach nicht mehr weiter, denke ich – und zucke heftig zusammen, weil Matteo plötzlich hinter mir steht und mir eine Hand auf die Schulter legt.
Er nimmt sie wieder weg, als ich mich umdrehe, und auf seinem Gesicht steht ein unsicherer Ausdruck.
»Wirst du mitkommen?«
Offenbar kann er sich nicht entscheiden, ob er sich ein »Ja« oder ein »Nein« als Antwort wünscht. Valentina ist ihm wichtig, also hätte er es mir vermutlich tatsächlich gesagt. Er will ihr diesen Wunsch erfüllen, aber wohl fühlt er sich damit nicht, mich mit zu seiner Familie zu nehmen. Und deshalb weiß ich nicht, ob es eine gute Idee ist, mit ihm hinzufahren.
Aber was, wenn ich es nicht tue? Will ich nicht wenigstens diese Chance nutzen, ihn ein bisschen näher kennenzulernen – egal, was später passiert?
Einen langen Moment sehe ich ihn nur an, verliere mich in seinen Bernstein-Augen, die ich gerne ergründen würde, auch wenn ich Angst davor habe, was ich finden werde, wenn ich es tue.
»Das muss ich doch, oder nicht? Schließlich will ich nicht, dass es Valentina meinetwegen schlecht geht«, sage ich dann mit einem Schulterzucken und trete einen Schritt auf ihn zu, lege die Hände auf seine Brust.
»Wann musst du eigentlich los?«, frage ich, weil er gleich einen Termin an der Uni hat, und blicke zu ihm auf, sehe zu meiner Erleichterung, wie die Falte auf seiner Stirn verschwindet und das vertraute Funkeln in seine Augen tritt.
»Ein bisschen Zeit haben wir noch.« Er öffnet meinen Bademantel, lässt die Hände hineingleiten, und ich lehne den Kopf zurück, erwidere seinen brennenden Blick und versuche zu vergessen, dass uns sehr viel mehr vielleicht wirklich nicht bleibt.
22
Wir sind fast eine Stunde zu spät, als
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