Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Verloren

Verloren

Titel: Verloren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathryn Taylor
Vom Netzwerk:
nichts mehr denken, doch es gelingt mir nicht, denn Matteos Gesicht taucht sofort vor mir auf. Und ich spüre ihn, es ist, als würde ich seine Hände noch auf meiner Haut fühlen, seine Lippen an meinem Mund, seinen Körper dicht an meinem, so als würde ich immer noch neben ihm liegen.
    Berührte Haut erinnert sich , denke ich und seufze tief. Das Zitat wird John Keats zugeschrieben, und es hat mir immer besonders gefallen. Aber erst jetzt, wo ich auf diese alles erschütternde Weise »berührt« wurde, begreife ich wirklich den Sinn. Mit Matteo zusammen zu sein, war so sinnlich und so besonders, dass Schauer durch meinen Körper laufen, wenn ich nur daran denke. Es hat sich in meine Erinnerung gebrannt, und ich weiß nicht, ob ich das jemals vergessen kann. Ob ich Matteo vergessen kann.
    Deshalb bin ich heute Morgen gegangen. Weil ich vielleicht noch eine Chance habe, wenn ich mich ab jetzt von ihm fernhalte. Dann schaffe ich es vielleicht, mein Herz da rauszuhalten, und kann weitermachen, wo ich aufgehört habe, als ich herkam. Vielleicht …
    Ich stehe wieder auf und gehe mit schleppenden Schritten in das kleine Bad, wo ich mich ausziehe und dusche. Doch auch, als ich kurze Zeit später mit nassen Haaren und frischen Sachen unten im Frühstücksraum sitze, habe ich noch das Gefühl, dass ich Matteo an mir riechen kann. Er begleitet mich durch die nächsten Stunden, lässt mich unruhig nach einer Beschäftigung suchen, die mich ablenkt. Aber was ich auch tue: shoppen, mit Daniela Bini reden, mich mit Andrew treffen, der zum Glück spontan Zeit auf eine Tasse Tee hat, ein weiteres Mal mit Dad telefonieren und Giacomos Bestandsliste noch einmal in Ruhe überprüfen – Matteo geht mir einfach nicht aus dem Kopf. Sobald ich die Augen schließe, sehe ich ihn vor mir, und wenn ich nicht aufpasse, dann überlege ich, was er zu bestimmten Dingen gesagt hätte oder wie er gelächelt hätte über anderes. Bis ich es am frühen Abend schließlich nicht mehr aushalte.
    Sarah hat recht, ich muss noch mal zu ihm, denke ich. Ich kann das nicht so im Raum stehen lassen, ich muss ihm wenigstens sagen, dass sich das mit der Expertise erledigt hat. Und ich muss das persönlich tun, nicht am Telefon. Es ist wichtig, dass ich ihm dabei in die Augen sehe, auch wenn ich Angst habe, dass darin nur Gleichgültigkeit stehen wird. Wahrscheinlich ist es so, denn es sind viele Stunden vergangen seit meinem Aufbruch, und wenn er mich vermisst hätte, dann hätte er sich ja melden können, oder? Aber dann weiß ich es wenigstens, denke ich und atme tief durch. Das ist besser, als sich die ganze Zeit mit der Ungewissheit zu quälen.
    Nachdem ich die Entscheidung getroffen habe, kann ich es fast gar nicht mehr abwarten und stehe schon eine halbe Stunde später in dem hellblauen trägerlosen Sommerkleid, das ich mir bei meiner Ablenkungs-Shoppingtour gegönnt habe, und mit aufgeregt klopfendem Herzen vor Matteos Villa. Doch die Mauer, die das Grundstück umgibt, kommt mir plötzlich viel höher vor als gestern, und für einen kurzen Moment will ich wieder umkehren. Nur die Aussicht, dass ich mir dann wahrscheinlich auch noch den ganzen Abend und die ganze Nacht das Gehirn zermartern werde, lässt mich weiter zu der Tür in der Mauer gehen, die die Stiftungs-Angestellte mir heute Morgen gezeigt hat. Sie liegt neben dem Tor und ist aus Eisen, wirkt sehr massiv und abweisend, was es für mich auch nicht leichter macht, auf die Türklingel daneben zu drücken. Als ich es tue, geht an der Gegensprechanlage darüber ein Licht um die runde Kameralinse herum an, mit deren Hilfe man von drinnen sehen kann, wer hereingelassen werden möchte.
    Unsicher blicke ich hinein. Ich habe keine Ahnung, ob Matteo da ist, schließlich kann es gut sein, dass er das Wochenende gar nicht in der Stadt verbringt. Vielleicht ist er wie so viele Römer längst an die Küste gefahren oder nach Castel Gandolfo zu Valentina. Oder er ist da, aber er öffnet nicht, weil er sieht, dass ich es bin, die ihn sprech …
    Der Türsummer geht, und ich zucke zusammen. Mein Herz rast jetzt, aber ich drücke die schwere Tür trotzdem auf und betrete das Grundstück. Die Hand fest um meine Handtasche gelegt, gehe ich über den breiten Kiesweg auf das Haus zu und spüre, wie die Beklommenheit in meinem Magen zu einem schweren Stein wird.
    Bestimmt ist es die Haushälterin, die mir aufgemacht hat, denke ich, um die Nerven nicht zu verlieren. Oder eine der Stiftungsangestellten, so wie heute

Weitere Kostenlose Bücher