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Verlorene Illusionen (German Edition)

Verlorene Illusionen (German Edition)

Titel: Verlorene Illusionen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
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Ist das nicht ein Graus, daß ein alter Soldat, der sich tausendmal vor die Mündung der Kanone gestellt hat, in Paris Nägel sammeln muß? Großer Gott, du bist doch ein trauriger Kerl, du hast nicht zum Kaiser gehalten! – Sehen Sie, junger Herr, dieses Individuum, das Sie heute morgen gesehen haben, hat in diesem Monat vierzig Franken verdient. Wird es Ihnen besser gehen? Und Finot sagt, es sei der witzigste von allen seinen Mitarbeitern.«
    »Hat man Ihnen, als Sie bei Sambre-et-Meuse zur Armee gingen, gesagt, es sei gefährlich?«
    »Donner und Doria!«
    »Nun also?«
    »Nun also, suchen Sie meinen Neffen Finot auf, der ein wackerer Kerl ist, der anständigste Bursche, den Sie treffen können, wenn Sie ihn treffen, denn er tummelt sich wie ein Fisch. Sehen Sie, bei seinem Handwerk spielt das Schreiben keine Rolle, er muß nur dafür sorgen, daß die andern schreiben. Es scheint, die Halunken schmausen lieber mit Schauspielerinnen, als daß sie Papier verschmieren. Oh, das sind kuriose Käuze! Habe die Ehre, Sie zu grüßen.«
    Der Kassierer setzte seinen furchtbaren, mit Blei ausgefüllten Spazierstock in Bewegung und ließ Lucien auf dem Boulevard. Er war über dies Bild einer Redaktion ebenso erstaunt wie damals über das endgültige Ergebnis in der Literatur bei Vidal & Porchon. Lucien lief zehnmal zu Andoche Finot, dem Chefredakteur des Blattes, nach der Rue Feydeau, ohne ihn ein einziges Mal anzutreffen. Am frühen Morgen war Finot noch nicht nach Hause gekommen. Mittags war er unterwegs: er frühstückte, sagte man, in dem und dem Café. Lucien ging ins Café, fragte die Büfettdame nach Finot: er war eben fortgegangen. Schließlich wurde Lucien müde, hielt Finot für eine apokryphe und fabelhafte Person und fand es einfacher, bei Flicoteaux Etienne Lousteau abzuwarten. Dieser junge Journalist würde ihm ohne Zweifel das Geheimnis erklären, das über dem Blatt, mit dem er verbunden war, waltete.
    Seit dem gesegneten Tag, an dem Lucien Daniel d'Arthez kennen gelernt, hatte er bei Flicoteaux den Platz gewechselt: die beiden Freunde saßen beim Essen nebeneinander und plauderten mit leiser Stimme von hoher Literatur, von Gegenständen, die man behandeln könnte, von der Technik, mit der sie dargestellt werden müßten, wie man den Beginn und die Schürzung des Knotens machen müßte. Zurzeit war Daniel d'Arthez damit beschäftigt, das Manuskript des ›Bogenschützen Karls IX.‹ zu korrigieren; er änderte ganze Kapitel, schrieb die schönen Seiten, die darin sind, er fügte die prächtige Vorrede hinzu, die vielleicht das Beste an dem Buche ist und so viel Klarheit in die junge Literatur gebracht hat. Eines Tages, als Lucien neben Daniel saß, der auf ihn gewartet hatte und seine Hand in der seinen hielt, sah er Etienne Lousteau eben zur Tür hereinkommen. Lucien ließ die Hand Daniels plötzlich los und sagte zu dem Kellner, er wolle auf seinem alten Platz neben dem Büfett essen. D'Arthez warf Lucien einen sanft erschrockenen Blick zu, in dem die Verzeihung schon neben dem Vorwurf lag. Das traf den Dichter so stark, daß er wieder nach der Hand Daniels griff, um sie ihm noch einmal zu drücken. »Es handelt sich für mich um eine wichtige Sache, ich spreche noch mit dir darüber«, sagte er zu ihm.
    Lucien war im Augenblick auf seinem alten Platz, wo Lousteau sich hinsetzte; er grüßte zuerst. Die Unterhaltung war bald im Gange und kam so schnell vorwärts, daß Lucien das Manuskript seiner ›Margueriten‹ holen ging, während Lousteau weiteraß. Er hatte die Erlaubnis erlangt, seine Sonette dem Journalisten vorlegen zu dürfen, und glaubte darauf rechnen zu können, daß er ihm bei der Suche nach einem Verleger und beim Eintritt in die Zeitung wohlwollend helfen würde. Als er wiederkam, sah Lucien in der hintern Ecke des Restaurants Daniel traurig mit aufgestütztem Kopf dasitzen und empfand seinen melancholischen Blick; aber die Angst vor der Not und der Ehrgeiz trieben ihn vorwärts, und er tat so, als ob er seinen brüderlichen Freund nicht sähe, und schloß sich Lousteau an. Gegen Abend setzten sich der Journalist und der Neuling ins Grüne, in dem Teil des Luxembourg, der von der großen Allee von der Sternwarte her zur Rue de l'Ouest führt. Diese Straße war damals eine große Pfütze, die an Brettern und Sümpfen vorbeiführte, und Häuser gab es da nur in der Gegend der Rue de Vaugirard. Die Straße war so wenig besucht, daß ein Liebespärchen in dem Augenblick, wo Paris bei Tische

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