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Verlorene Illusionen (German Edition)

Verlorene Illusionen (German Edition)

Titel: Verlorene Illusionen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
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sich irgendeine Stelle zu suchen. Werden Sie Schreiber bei einem Gerichtsvollzieher, wenn Sie ein Herz haben; Kommis, wenn Sie Blei im Kreuz haben; oder Soldat, wenn Sie Militärmusik lieben. Sie haben das Zeug zu drei Dichtern in sich; aber ehe Sie durchgedrungen sind, können Sie sechsmal verhungert sein, wenn Sie darauf rechnen, von den Erzeugnissen Ihrer Poesie leben zu können. Nach den allzu jugendlichen Reden, die Sie führen, haben Sie die Absicht, aus Ihrem Tintenfaß Geld herauszuschlagen. Ich sage nichts gegen Ihre Gedichte, die sind viel besser als all die Gedichtbände, die auf den Regalen der Buchhändler verschimmeln. Diese eleganten Ladenhüter, die wegen ihres Velinpapiers ein wenig teurer zu stehen kommen als die andern, lassen sich fast alle an den Ufern der Seine nieder, wo Sie ihre Gesänge studieren können, wenn Sie eines Tages eine lehrreiche Wallfahrt an die Kais von Paris von der Auslage des alten Jérôme an der Notre-Dame-Brücke bis zum Pont Royal machen wollen. Sie finden da alle die »poetischen Versuche«, die »Inspirationen«, die »Flüge in die Höhe«, die »Hymnen«, die »Gesänge«, die »Balladen«, die »Oden«, kurz alles, was in sieben Jahren ausgebrütet worden ist, Dichter, die mit Staub überzogen, die von den Droschken mit Kot bespritzt und von allen Vorbeigehenden, die das Titelblatt sehen wollen, zerfetzt sind. Sie kennen keinen Menschen, Sie haben zu keinem Blatt Beziehungen: Ihre ›Margueriten‹ werden keusch in der Knospe bleiben, wie Sie sie da in der Hand halten, sie werden niemals in der Sonne der Öffentlichkeit aufsprießen, sie werden nie mit breiten Rändern und mit Blumenornamenten versehen erscheinen, wie sie der berühmte Dauriat, der Buchhändler der berühmten Dichter, herausgibt. Armer Bursche, ich bin wie Sie mit dem Herzen voller Hoffnungen hierher gekommen, auch mich hat die Liebe zur Kunst getrieben, auch mich hat es unersättlich nach dem Ruhm gedürstet: ich habe die Wirklichkeiten des Handwerks, die Schwierigkeiten des Buchhandels und das Positive des Elends gefunden. Meine wilde Begeisterung, die sich jetzt gelegt hat, und meine erste Glut verbargen mir die Maschinerie der Welt; ich habe sie inzwischen kennen gelernt, bin von allen Rädern getroffen worden, bin an die Pfosten gestoßen, habe mich am Öl schmutzig gemacht, habe das Klirren der Ketten und das Sausen der Schwungräder gehört. Sie werden wie ich die Erfahrung machen, daß sich unter all den schönen Dingen, von denen Sie träumen, Menschen, Leidenschaften und Notwendigkeiten bewegen. Sie werden sich notgedrungen auf schreckliche Kämpfe einlassen, in denen ein Werk dem andern, ein Mensch dem andern, eine Partei der andern gegenübersteht, wo es gilt, sich systematisch zu schlagen, um nicht von den Seinen im Stich gelassen zu werden. Diese niedrigen Kämpfe ernüchtern die Seele, machen das Herz schlecht und ermüden ohne allen Nutzen; denn all Ihr Bemühen dient oft nur dazu, einen Menschen zum Ruhm zu bringen, den Sie hassen, ein Talent zweiten Ranges, das Ihnen zum Trotz als Genie hingestellt wird. Das literarische Leben hat seine Kulissen. Das Parterre klatscht Beifall, gleichviel ob der Erfolg mit List erschlichen oder verdient ist; die Mittel, die immer häßlich sind, die geschminkten Statisten, die Claqueure und die Herrschaften mit den Freibilletten, all das bleibt hinter den Kulissen. Sie sind noch im Parterre; es ist noch Zeit, treten Sie zurück, bevor Sie einen Fuß auf die erste Stufe zu dem Thron setzen, den sich so viele Ehrgeizige streitig machen, und Sie entehren sich nicht, wie ich es tue, um das Leben zu fristen.« In den Augen Lousteaus standen Tränen. »Wissen Sie, wie ich lebe?« fuhr er fort, und eine Art Wut lag in seiner Stimme. »Das bißchen Geld, das mir meine Familie geben konnte, war bald verzehrt. Ich stand mittellos da, nachdem ich beim Théâtre Français ein Stück angebracht hatte. Im Théâtre Français genügt die Protektion eines Prinzen oder eines königlichen Kammerherrn nicht, um eine günstige Besetzung zu erlangen: die Schauspieler geben nur denen nach, die ihrer Eigenliebe drohen. Wenn Sie die Macht haben, es durchzusetzen, daß von dem ersten Liebhaber geschrieben wird, er leide an Asthma, von der ersten Liebhaberin, sie habe irgendwo ein Geschwür, von der Soubrette, sie rieche aus dem Mund, dann werden Sie aufgeführt. Ich weiß nicht, ob ich heute in zwei Jahren, so wie ich da vor Ihnen stehe, imstande sein werde, eine solche

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