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Verlorene Illusionen (German Edition)

Verlorene Illusionen (German Edition)

Titel: Verlorene Illusionen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
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Unerschütterlichkeit, die von der Gewohnheit zu kritisieren herkommt und welche die Journalisten, die der Prosa, der Dramen und der Verse überdrüssig sind, an sich haben. Der Dichter, der an Äußerungen des Beifalls gewöhnt war, unterdrückte seine Enttäuschung; er las das Sonett, das Frau von Bargeton und einige seiner Freunde aus dem Zirkel am liebsten hatten. »Das wird ihm vielleicht ein Wort entlocken«, dachte er.

Die Marguerite
Ich bin die Marguerite, und man pries
Als schönste Blume mich im Wiesenflor;
Der Sucher, der von vielen mich erkor,
Als Zierde immer mich willkommen hieß.
     
Doch eine unheilvolle Gabe wies
Mir ein Verhängnis, ungeahnt zuvor:
Die Wahrheit dankt mir der verliebte Tor,
Und ich muß sterben, wenn ich sie verhieß.
     
Um meine Ruhe ist es nun geschehn;
Die Zukunft in zwei Worten zu gestehn,
Fall' ich der Liebe Wißbegier zum Raub.
     
Von meinem weißen Strahlenkranze trennt
Man Blatt um Blatt und tritt mich in den Staub,
Verächtlich, wenn man mein Geheimnis kennt.
     
     
    Als er fertig war, sah der Dichter seinen Aristarch an; Etienne Lousteau sah die Bäume an.
    »Nun?« fragte Lucien. »Nun, immer weiter, mein Lieber, höre ich nicht zu? In Paris ist es ein Lob, wenn man zuhört, ohne ein Wort zu sagen.«
    »Haben Sie genug?« fragte Lucien zaghaft. »Fahren Sie fort«, antwortete der Journalist kurz und bündig.
    Lucien las das folgende Sonett; aber er las es in verzweifelter Stimmung, und die unerschütterliche Kaltblütigkeit Lousteaus nahm seinem Vortrag die Wärme. Wäre er im literarischen Leben bewanderter gewesen, so hätte er gewußt, daß bei den Schriftstellern das Schweigen und die Grobheit unter solchen Umständen die Eifersucht auf ein schönes Werk verraten, ebenso wie ihre Bewunderung das Vergnügen zeigt, das ein mäßiges Werk ihnen einflößt, weil es ihrer Eigenliebe nicht weh tut.
    Die Kamelie
Aus jeder Blume redet die Natur:
Die Rose spricht von Liebe immerdar,
Des Veilchens Duft ist wie der Seele Spur,
Die Lilie leuchtet hoheitsvoll und klar.
     
Doch die Kamelie, Tochter der Kultur,
Duftlos und ohne Majestät, obzwar
Sie glänzt, scheint ein Symbol des Schmachtens nur
Der Jungfrauschaft, noch kalt und unfruchtbar.
     
Doch im Theater seh ich von Balkonen
Gern der Kamelien keusche Blütenkronen
In ihrem alabasterfarbnen Blaß
     
Das Haar der schönen jungen Frauen schmücken.
Die uns so eigen und so zart berücken,
Wie Marmorstatuen von Phidias.
     
     
    »Was halten Sie von meinen armen Sonetten?« fragte Lucien jetzt geradeheraus.
    »Wollen Sie die Wahrheit hören?« erwiderte Lousteau.
    »Ich bin jung genug, um sie zu lieben, und ich habe zu sehr den Wunsch, mich durchzusetzen, um sie nicht hören zu können, ohne mich zu ärgern, aber nicht ohne zu verzweifeln«, antwortete Lucien.
    »Nun also, mein Lieber: die geschraubten Ausdrücke des ersten Sonetts zeigen, daß es sich um ein Gedicht handelt, das Sie in Angoulême gemacht haben und das Ihnen ohne Zweifel so schwer fiel, daß Sie nicht gern darauf verzichten möchten, das zweite und das dritte schmecken schon nach Paris; aber lesen Sie mir noch eins!« fügte er mit einer Handbewegung hinzu, die Lucien entzückend schien.
    Durch diese Aufforderung bekam Lucien Mut und las mit mehr Zuversicht das Sonett, das d'Arthez und Bridau, vielleicht wegen seines Kolorits, am liebsten hatten.
    Die Tulpe
Man kennt mich: Holland ist mein Vaterland,
Und meine Zwiebel gilt dem geizgen Vlamen
Oftmals noch höher als ein Diamant,
Vertraut er meiner Art und meinem Namen.
     
Von Haltung bin ich stolz; denn mein Gewand
Zieren gemalte Wappen, wie bei Damen
Von vornehmer Geburt und hohem Stand:
Rachen, die Purpur oder Gold umrahmen.
     
Der Himmelsgärtner wob ein Kleid mir ganz
Aus Sonnenstrahlengold und hat noch Glanz
Dazu vom Königspurpur abgestreift.
     
Ich überstrahle alles um mich her:
Nur, ach! der Duft fehlt meinem Kelche, der
Wie eine Chinavase schön geschweift.
     
     
    »Nun?« fragte Lucien nach einem Augenblick des Schweigens, der ihm über die Maßen lang vorkam.
    »Mein Lieber,« sagte Etienne Lousteau ernst und sah dabei nach den Spitzen der Stiefel, die Lucien von Angoulême mitgebracht hatte und immer noch trug, »ich rate Ihnen, Ihre Stiefel mit Ihrer Tinte zu schwärzen, um die Wichse zu sparen; aus Ihren Federn Zahnstocher zu machen, damit Sie so aussehen, als ob Sie ein Diner eingenommen hätten, wenn Sie von Flicoteaux kommen und in der schönen Allee dieses Gartens spazieren gehen; und

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