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Verlorene Illusionen (German Edition)

Verlorene Illusionen (German Edition)

Titel: Verlorene Illusionen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
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Zeit nicht mehr gesehen. Sie müssen bedenken, wir halten in der Mitte des Monats! Diese Schlauberger kommen nur, wenn ausgezahlt wird, vom Neunundzwanzigsten bis zum Dreißigsten.«
    »Und Herr Finot?« fragte Lucien, der den Namen des Chefredakteurs behalten hatte.
    »Er ist zu Hause, in der Rue Feydeau. Alter Koloquint, bring ihm alles, was gekommen ist, wenn du das Papier in die Druckerei trägst.«
    »Ja, wo wird denn die Zeitung gemacht?« sagte Lucien wie im Selbstgespräch.
    »Die Zeitung?« wiederholte der Angestellte, der zugleich von Koloquint das Geld in Empfang nahm, das er von den Stempelmarken herausgebracht hatte, »die Zeitung? ... hm, hm! – Alter, sei morgen um sechs Uhr in der Druckerei und sieh zu, daß die Austräger schnell auf die Straße kommen. – Die Zeitung, werter Herr, wird auf der Straße gemacht, in der Wohnung der Mitarbeiter, in der Druckerei, zwischen elf und zwölf Uhr nachts. Als wir noch den Kaiser hatten, gab es diese Anstalten für Druckerschwärze noch nicht. Ah! er hätte euch das mit vier Mann und einem Korporal ausgetrieben und hätte sich nicht, wie die jetzt, mit Phrasen dumm machen lassen. Aber genug davon. Wenn mein Neffe seine Rechnung dabei findet und man für den Abkömmling einer gewissen Familie schreibt – hm, hm! Sie wissen schon –, so ist das schließlich kein Fehler. Aber mir scheint, die Abonnenten rücken hier nicht in geschlossenen Kolonnen an, ich werde den Posten aufgeben.«
    »Sie scheinen mit der Redaktion des Blattes Bescheid zu wissen?«
    »In finanzieller Beziehung, hm, hm!« sagte der Offizier und räusperte sich kräftig. »Je nach dem Talent hundert Sous bis herunter zu drei Franken für die Spalte von fünfzig Zeilen à fünfzig Buchstaben, ohne Zwischenräume, da haben Sie's. Die Mitarbeiter, das sind sonderbare Käuze, so kleine junge Leute, die ich nicht einmal als Trainsoldaten hätte haben mögen! Die denken, weil sie Krähenfüße auf weißes Papier kritzeln können, sie könnten einen alten Dragonerrittmeister der Kaiserlichen Garde, einen pensionierten Bataillonschef, der mit Napoleon in allen Hauptstädten Europas einzog, über die Schulter ansehen ...«
    Das Wrack aus der Napoleonszeit bürstete seinen blauen Rock aus und bekundete deutlich die Absicht, fortzugehen. Lucien, der sich so vor die Tür gesetzt sah, faßte den Mut, von seiner Absicht geradeheraus zu reden.
    »Ich bin gekommen, um Mitarbeiter zu werden,« sagte er, »und ich schwöre Ihnen, daß ich vor einem Rittmeister der Kaiserlichen Garde, vor allen Männern von Erz hohe Achtung habe ...«
    »Gut gesagt, junger Zivilist,« erwiderte der Offizier; »aber in welche Mitarbeiterklasse wollen Sie eintreten?« fügte der Haudegen hinzu und stieg rücksichtslos vor Lucien die Treppe hinunter. Er hielt nur an, um beim Portier seine Zigarre anzuzünden. »Wenn Abonnenten kommen, empfangen Sie sie und notieren Sie die Adresse, Mutter Chollet. – Immer Abonnenten, ich kenne nichts weiter als Abonnenten«, fuhr er, zu Lucien gewandt, fort. »Finot ist mein Neffe, der einzige in der Familie, der meine Lage erleichtert hat. Wer also mit Finot Streit anfangen will, findet den alten Giroudeau, Rittmeister bei den Gardedragonern, der als schlichter Reiter in der Armee des Sambre-et-Meuse begonnen hat und fünf Jahre Fechtmeister bei den ersten Husaren in der italienischen Armee gewesen ist! Eins, zwei, und der Kerl, der was zu klagen hat, ist ein Leichnam!« fügte er hinzu und machte eine Handbewegung, wie wenn er einen Ausfall machte. »Also, junger Herr, wir haben verschiedene Gattungen bei den Redakteuren und Mitarbeitern: da ist der eine, der redigiert und bekommt sein Gehalt, ein anderer redigiert und bekommt nichts, das nennen wir einen Volontär; endlich ist da der Redakteur, der nichts redigiert, und der ist nicht der Dümmste; er macht keine Fehler, der Herr, er gibt sich für einen Schriftsteller aus, gehört zum Blatt, zahlt uns Diners, bummelt in die Theater, hält eine Schauspielerin aus und ist sehr glücklich. Was wollen Sie werden?«
    »Aber natürlich ein Redakteur, der ordentlich arbeitet und demnach auch ordentlich bezahlt wird.«
    »Na, sehen Sie, Sie sind wie alle Rekruten, die gleich Marschall von Frankreich werden wollen! Glauben Sie dem alten Giroudeau, in Gliedern links schwenkt, immer langsam voran, überlegen Sie sich die Sache und lesen Sie lieber Nägel aus dem Rinnstein auf, wie der wackere Kerl da, der gedient hat, man siehts an seiner Haltung. –

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