Verlorene Illusionen (German Edition)
zum Glück diese heftigen Gegensätze nicht gibt, unbekannt bleibt.
»Sie haben am Schluß so gut gespielt wie Fräulein Mars«, sagte du Bruel zu Coralie.
»Ja,« sagte Camusot, »das Fräulein hat im Anfang etwas gehabt, was sie störte, aber von der Mitte des zweiten Akts an war sie hinreißend. Ihr Erfolg ist zur Hälfte ihr zu verdanken.«
»Und ihr Erfolg zur Hälfte mir«, sagte du Bruel. »Ihr streitet euch um Kaisers Bart«, sagte sie mit einer Stimme, in der ein Zittern war.
Die Schauspielerin benutzte einen Augenblick, wo es völlig dunkel war, um Luciens Hand an ihre Lippen zu ziehen, und küßte sie. Die Hand wurde feucht von ihren Tränen. Lucien war jetzt bis ins Mark erregt. Die demütige Hingabe der liebenden Kurtisanen trägt Wonnen in sich, die sie zu Engeln machen.
»Der Herr wird den Artikel schreiben,« sagte du Bruel, zu Lucien gewandt, »er kann einen schönen Absatz über unsere liebe Coralie schreiben.«
»Oh, erweisen Sie uns diesen kleinen Dienst!« sagte Camusot mit der Stimme eines Mannes, der vor Lucien auf den Knien lag, »Sie finden in mir einen Diener, der Ihnen jederzeit zur Verfügung steht.«
»Aber laßt doch dem Herrn seine Unabhängigkeit!« rief die Schauspielerin wütend, »er soll schreiben, was er will. Papa Camusot, kaufen Sie mir Wagen und keine Lobreden.«
»Sie werden sie sehr billig haben«, sagte Lucien höflich. »Ich habe nie etwas für Zeitungen geschrieben, ich kenne ihre Gebräuche nicht, Sie sollen die Jungfernschaft meiner Feder haben...«
»Das ist lustig«, sagte du Bruel.
»Hier sind wir in der Rue de Bondy«, sagte der kleine alte Cardot, den der Ausfall Coralies niedergeschmettert hatte.
»Wenn ich die erste Regung deiner Feder bekomme, bekommst du die erste meines Herzens«, sagte Coralie in der kurzen Sekunde, während sie mit Lucien allein im Wagen war.
Coralie begab sich zu Florine ins Schlafzimmer, um dort die Toilette anzuziehen, die sie hergeschickt hatte. Lucien wußte nichts von dem Luxus, den die lebenslustigen reichen Kaufleute bei den Schauspielerinnen oder ihren Mätressen entfalten. Obwohl Matifat, der über kein so beträchlliches Vermögen verfügte wie sein Freund Camusot, die Sache ziemlich ärmlich gemacht hatte, war Lucien doch überrascht, als er einen künstlerisch eingerichteten Speisesaal sah, dessen Wände grüner mit goldenen Nägeln befestigter Samt bedeckte; er war von schönen Lampen erleuchtet, überall waren Schalen mit Blumen aufgestellt, und an den Speisesaal stieß ein Salon, der mit gelber, von braunem Ausputz unterbrochener Seide ausgeschlagen war; in ihm standen die feinen Möbel, wie sie damals modern waren, hing ein Kronleuchter von Thomire, lag ein Teppich mit persischen Mustern. Die Standuhr, die Kandelaber, der Kamin, alles war geschmackvoll. Matifat hatte alles von Grindot, einem jungen Architekten, der, ihm ein Haus baute, einrichten lassen, und dieser kannte die Bestimmung der Wohnung und hatte sich besondere Mühe damit gegeben. Doch berührte Matifat, der immer Kaufmann blieb, die geringsten Kleinigkeiten nur mit großer Vorsicht, er schien immer die Ziffer der Rechnungen gegenwärtig zu haben und betrachtete diese Herrlichkeiten wie Kleinode, die man unvorsichtigerweise aus dem Schmuckkästchen genommen hat.
»Ich werde doch genötigt sein, das auch für Florentine zu tun«, diesen Gedanken las man in den Augen des alten Cardot.
Lucien begriff jetzt mit einem Male, warum der Zustand der Kammer, in der Lousteau wohnte, dem Journalisten nicht viel Sorge machte. Er war der heimliche König dieser Herrlichkeiten und freute sich an all den schönen Dingen. So benahm er sich denn auch, als er vor dem Kamin stand und mit dem Direktor plauderte, der du Bruel gratuliert hatte, als ob er der Hausherr wäre.
»Manuskript! Manuskript!« rief Finot, der hereintrat. »Es ist nichts im Redaktionskasten. Die Setzer haben meinen Artikel und werden bald damit fertig sein.«
»Wir werden welches haben«, sagte Etienne. »Wir finden in Florinens Boudoir einen Tisch und Feuer. Wenn Herr Matifat uns Papier und Tinte verschaffen will, schreiben wir das Blatt, während Florine und Coralie sich umkleiden.«
Cardot, Camusot und Matifat gingen eilends fort, um Federn, Federmesser und alles, was die beiden Schriftsteller brauchten, zu holen. In diesem Augenblick stürzte eine der hübschesten Tänzerinnen der Zeit, Tullia, in den Salon.
»Liebes Kind,« sagte sie zu Finot, »man bewilligt dir deine zehn Abonnements,
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